München – Es war ein Satz, dem nicht viel Bedeutung zugemessen wurde. Sie habe „an diesem Morgen“ erst von der Dimension des Problems erfahren, sagte Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) am Mittwoch bei ihrer Pressekonferenz. „Wir haben heute früh erfahren, dass es einen großen Rückstau gibt“, sagte sie auch am Abend in der ARD. Und, am nächsten Tag wieder vor Journalisten: „Ich habe gestern von diesen Zahlen mitbekommen.“
Dreimal die gleiche Aussage – und dreimal war sie so nicht richtig. Das Ausmaß der verspäteten Corona-Tests an Bayerns Autobahnen erfuhr die Spitze des Ministeriums schon zwei Tage früher. Am Montag, 12:30 Uhr, erreichte die Amtsleitung eine weitergeleitete E-Mail einer privaten Laborfirma. Es war eine Art Notruf der Firma: Darin wird das Ausmaß der Verzögerungen geschildert – über 40 000 ausstehende Tests, davon über 330 positiv (die Zahl stieg später auf über 900). Zu Wochenbeginn waren Humls Leute im Bilde.
Politisch ist das brisant. Demnach ließen das Gesundheits-Landesamt und das Ministerium fast zwei Tage verstreichen, ehe Behörden und Polizei mit Hochdruck die Infizierten suchten. Vielleicht hätte ein öffentlicher Aufruf an die Rückreisenden, sich sicherheitshalber noch mal testen zu lassen, weitere Ansteckungen verhindert.
Der Ablauf legt nahe: Huml versuchte anfangs, das Ausmaß unter der Decke zu halten. Auch im Ministerrat, der am Montag wegen dieser Sache tagte, soll die 44-Jährige den Eindruck erweckt haben, die Sache sei unter Kontrolle – so schildern es Teilnehmer.
Später stieg der Druck jedoch. In den Medien meldeten sich immer mehr Getestete, die seit Tagen auf ihr Ergebnis warten – darunter hochrangige Politiker sowie Journalisten. Ärzte und ehrenamtliche Helfer berichteten von hunderten Nachfragen pro Tag, wo die Resultate bleiben. Jeder merkte: Da läuft etwas aus dem Ruder. Am Dienstag stellte unsere Zeitung eine offizielle Anfrage an die Staatsregierung und forderte die Preisgabe der Details – mit Frist Mittwochnachmittag. Statt die Fragen zu beantworten, lud Huml vier Minuten vor Ablauf der Frist eilig zu ihrer Pressekonferenz.
Log die Ministerin? Zumindest verschwieg sie zwei Tage lang das Ausmaß. Humls Verteidigung: Der Anstieg von 300 auf 900 Infizierte sei wirklich „eine ganz, ganz andere Dimension“ gewesen. Das habe sie tatsächlich erst am Mittwoch erfahren. Es sei nicht um „Verschleierung“ gegangen, sie sehe „nichts Skandalmäßiges“. In der Mail sei auch ein „Lösungsansatz“ enthalten gewesen. Erst als sich diese Hoffnung bis Mittwoch nicht bestätigte, „haben wir sofort gehandelt und die Öffentlichkeit informiert“.
Tatsächlich steht in der Mail, das Labor erhoffe sich „zeitnaher alle (aktuell 338 offenen) positiven Fälle (…) berichten zu können. Wie erfolgreich dieser Ansatz ist, wird sich am Ende des morgigen Tages zeigen.“ Es gebe eine spezielle Softwarelösung.
Die Test-Affäre, die schon ausgestanden schien, flammt nun wieder auf. Vor allem wegen Humls Widersprüchen, aber auch, weil sich zugleich immer mehr Betroffene melden, deren Tests am Flughafen bis zu zehn Tage verbummelt wurden. Bisher hatte Huml die Probleme auf die Autobahn eingegrenzt und am Flughafen unter 100 Pannen eingeräumt.
Huml muss sich heute Mittag in einer Sondersitzung im Landtag rechtfertigen, der Gesundheitsausschuss tagt. Es wird ein Spektakel, für die Kamerateams sogar in den großen Plenarsaal verlegt. Ob Huml, die zuletzt zweimal ihren Rücktritt anbot, den Tag im Amt übersteht, dürfte sehr davon abhängen, ob sie auch Söder das Ausmaß vorenthielt. Sie erklärt, ihn wirklich erst am Mittwoch informiert zu haben, die Staatskanzlei bestätigt das. Söder hat selbst kurze Drähte zu Humls oberstem Beamten. Ob es für ihn besser ist, früher oder später Bescheid gewusst zu haben, ist aber auch nicht so sicher. cd/mik/mmä