GEORG ANASTASIADIS
Der russische Regimekritiker Alexej Nawalny war immer ein mutiger Mann. Auch wenn es an teils brutalen Einschüchterungsversuchen nicht fehlte, bot der Regimekritiker dem System Putin bis zuletzt die Stirn – und hoffte dabei im Stillen, seine Popularität in Russland werde ihn vor dem Schicksal eines Boris Nemzow oder einer Anna Politkowskaja schützen. Die Regierungskritikerin wurde ausgerechnet an Putins Geburtstag ermordet – mit blutigen Grüßen aus dem Kreml. Erst vor zwei Tagen hat Nawalny seine Wahlliste für die Regionalwahlen im September vorgestellt. Jetzt ringt er mit dem Tod. Womöglich hat er die Entschlossenheit der Machtclique um Putin unterschätzt, vor allem aber deren wachsende Nervosität vor den Wahlen und der Angst, dass sich eine Volkserhebung wie in Weißrussland im eigenen Land wiederholen könnte.
Die Vergiftung Nawalnys ist eine schrille Warnung an alle, die sich – sei es in Russland, in Belarus oder im Westen – irgendwelchen Illusionen hingeben, der Kreml werde zur Verteidigung seiner Macht vor irgendwelchen Mitteln zurückschrecken. Verglichen mit der mörderischen Natur des Systems Putin nimmt sich der weißrussische Prügel-Herrscher Lukaschenko wie ein Operetten-Diktator aus. Die Botschaft aus Moskau ist eindeutig: Wer vor aller Augen Mordanschläge auf die bekanntesten Gesichter Russlands ausführen lässt, weil ihm das Urteil der Weltöffentlichkeit egal ist, der hat auch keine Skrupel, die berühmten „kleinen grünen Männchen“ zur Niederschlagung des Volksaufstands in Weißrussland zu entsenden.
Dem Westen, vor allem jenen, die in der deutschen SPD schon von einer neuen „Sicherheitsarchitektur“ ohne Amerika, aber mit Putins Russland schwärmen, muss der Anschlag auf Nawalny ein Weckruf sein. Wer mit dem Tiger schmust, könnte als dessen Beute enden.
Georg.Anastasiadis@ovb.net