Experte: Wir sind besser vorbereitet

von Redaktion

München – Erst waren es nur einzelne lokale Ausbrüche. Jetzt bringen viele Urlauber das Coronavirus zurück nach Deutschland. Die Zahl der Neuinfektionen steigt. Stand gestern: mehr als 1700. Doch was bedeutet das und wie gut sind wir vorbereitet? Privatdozent Dr. Christoph Spinner, Infektiologe und Oberarzt am Klinikum rechts der Isar in München, gibt eine Einschätzung der Lage.

Stehen wir am Beginn einer zweiten Corona-Welle?

In der Tat sehen wir seit Mitte Juli eine kontinuierlich steigende Anzahl an Sars-CoV-2- Infektionen. Hierbei werden vor allem bei Reiserückkehrern – übrigens auch aus Nicht-Risikogebieten – im Vergleich zur sonstigen Bevölkerung deutlich steigende positive Testergebnisse gemeldet. Obgleich aktuell deutlich steigende Testzahlen gemeldet werden, gehen wir davon aus, dass dies nicht der alleinige Grund für die gestiegenen Fallzahlen ist. Es gibt keine formale Definition einer zweiten Welle, aber die deutlich steigende Neuinfektionszahl führt zu einer erheblichen Steigerung des Risikos unbemerkter Übertragungen.

Stimmt es, dass Mutationen das Virus so verändert haben, dass Krankheitsverläufe milder werden?

Es stimmt, dass das Coronavirus im Laufe der Ausbreitung Veränderungen seiner Erbsubstanz aufweisen kann, was wir als Mutation bezeichnen. Gesicherte Hinweise darauf, dass das Virus weniger gefährlich ist, gibt es derzeit nicht. In Deutschland werden zuletzt Infektionen bei eher jüngeren Menschen gemeldet. In dieser Gruppe sind Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und andere seltener. Dies darf aber nicht über die Gefährlichkeit des Virus hinwegtäuschen.

Bemerken Sie im Klinikum rechts der Isar bereits erste Auswirkungen der steigenden Infektionszahlen?

Derzeit sehen wir noch keine Zunahme der stationär behandelten Covid-19-Fälle, haben in den vergangenen Tagen aber vereinzelt neu infizierte Patienten aufgenommen. Aufgrund der langen Inkubationszeit und der langen Dauer bis zum komplizierten Verlauf mit Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung lassen sich diese Auswirkungen aber auch erst in Wochen absehen.

Im Frühjahr wurden Sie von dem Virus quasi überrascht. Was hat sich seither geändert – sind Kliniken heute besser vorbereitet?

Wir sind definitiv besser vorbereitet. Die Pandemiepläne wurden im echten Leben genutzt und konnten verbessert werden. Diagnostik- und Therapieabläufe sind verbessert und wir Ärzte haben viel mehr Erfahrung. Tests sind heute präziser, schneller und derzeit in ausreichender Menge verfügbar. Einzelne Arzneimittel sind mittlerweile zur Therapie zugelassen und das medizinische Personal hat sehr viel mehr Erfahrung in der Behandlung und mit den Komplikationen der Erkrankung. So haben die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie und andere Fachgesellschaften mittlerweile auch – konsensuelle – Behandlungsempfehlungen veröffentlicht.

Welche Medikamente nutzen Sie heute, die zu Beginn der Pandemie nicht zur Verfügung standen?

Wir konnten Remdesivir bereits sehr früh im Rahmen klinischer Studien nutzen und haben dies auch bei vielen Patienten während der ersten Welle getan. Wir waren an den Zulassungsstudien und deren Veröffentlichung beteiligt und setzen Remdesivir im Rahmen der vorhandenen Zulassung bei Patienten mit Covid-19-Pneumonie (von Sars-CoV-2 ausgelöste Lungenentzündung, Anm. d. Red.) und Notwendigkeit einer Sauerstofftherapie bei Bedarf ein. Bei schwer kranken Patienten nutzen wir darüber hinaus Dexamethason.

Werden diese Arzneien reichen, falls die Infektionszahlen weiter steigen?

Derzeit gehen wir von einer ausreichenden Verfügbarkeit von Arzneimitteln aus, beobachten diese Situation aber täglich.

Aktuell ist der Anteil der Jüngeren an den Neuinfizierten höher als im Frühjahr. Schaffen wir es diesmal, gefährdete Gruppen besser zu schützen?

Diese Frage kann ich als Arzt nicht beantworten. Sie hängt stark davon ab, wie Maßnahmen zur Unterbrechung von Infektionsketten eingehalten werden. Neben einer Mund- Nase-Bedeckung, Social Distancing und Kontaktverfolgung kommt es auf jeden Einzelnen an mitzuhelfen.

Noch ist kein Impfstoff verfügbar: Lässt sich die Pandemie auch allein durch eine verbesserte Therapie kontrollieren?

Nein, ganz sicher nicht.

Was weiß man im Moment zu möglichen Spätfolgen?

Hierzu laufen viele Studien und es scheint einzelne Patienten mit langwierigen, komplizierten Verläufen sowie Spätfolgen – Residuen – zu geben. Da man aus Einzelfällen schlecht auf allgemeine Folgen schließen kann, sind hier dringend weitere Daten erforderlich. Auch wir verfolgen bei uns auf Intensivstationen behandelte Patienten nach, um zu sehen, wie sich deren Zustand nach Wochen und Monaten verändert.

Zusammengefasst: Andrea Eppner

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