Bamako/Damaskus/Kabul – Als US-Spezialkräfte vergangenen Herbst das Versteck von Abu Bakr al-Bagdadi in Syrien aufspürten, dauerte es nicht lange, bis beim Islamischen Staat (IS) ein neuer Anführer nachrückte. Nach dem Tod des weltweit meistgesuchten Terroristen wurde Abu Ibrahim al-Haschimi al-Kuraischi Chef der Terrormiliz. Ausgelobtes Kopfgeld der USA: zehn Millionen Dollar.
Das klang nach Konstanz, dabei ist der IS in seinem früheren Herrschaftsgebiet in Syrien und im Irak stark geschwächt. Dafür hat er in West-, Nord- und Ostafrika sowie in Teilen Asiens neue Fronten eröffnet. Bis nach Sri Lanka und auf die Philippinen reicht der Einfluss.
In Afrika versucht der IS vor allem südlich der Sahara, seine Präsenz zu stärken. In Westafrika in der Sahelzone finden Extremisten fruchtbaren Boden: Dort herrscht eine explosive Mischung aus Armut, schwacher Regierungsführung, Bevölkerungswachstum und Folgen des Klimawandels. Die Bedrohung durch islamistische Gruppen wachse, warnt Daniel Eizenga vom Africa Center for Strategic Studies. Vor allem zwei Gruppen stehen zum IS: Der Westafrika-Ableger ISWAP, der sich von Boko Haram im Nordosten Nigerias abgespalten hat, und der IS in der Sahelzone (ISGS) an der Grenze von Mali, Niger und Burkina Faso. Sich mit dem IS zu assoziieren, habe vor allem Propaganda beschert, sagt Eizenga. ISWAP hat mit 3500 Kämpfern mehr Mitglieder als jeder andere IS-Ableger in Afrika.
Am Nordrand der Sahara versuchen IS-Kämpfer, das Bürgerkriegschaos in Libyen zu nutzen, oder sie verüben Anschläge in der kargen Wüste Ägyptens. Weiter östlich, in Afghanistan, tauchte die Terrormiliz 2015 auf. Dort und auf pakistanischem Gebiet will sie die „Provinz“ IS-Chorasan gründen. Die USA und die Regierung in Kabul bekämpften den IS von Anfang an intensiv. Im Herbst 2019 verkündete Präsident Aschraf Ghani dann den militärischen Sieg. Trotzdem reklamierte die Terrormiliz danach immer wieder verheerende Anschläge für sich.
Ein Terrorangriff auf ein Krankenhaus in Kabul, bei dem Mütter mit ihren Neugeborenen ermordet wurden, sorgte im Mai für Entsetzen. Die USA machten später den IS verantwortlich. Dazu kam ein Großangriff auf ein Gefängnis in der Provinz Nangarhar, der einstigen IS-Hochburg. Heute hat der IS nach einem UN-Bericht noch etwa 2200 Kämpfer in Afghanistan.
Dennoch: Das sogenannte Kalifat, das Abu Bakr al-Bagdadi 2014 in Syrien und im Irak ausrief, existiert nicht mehr. In beiden Ländern wurde der IS klar geschwächt, sein Einfluss ist geschwunden. Terrorismusexperte Eizenga warnt davor, der Miliz zu viel Einfluss zuzuschreiben: „Die Organisation befindet sich im Rückgang. Es ist in ihrem Interesse, so zu tun, als habe sie Verbindungen zu all diesen Satellitengruppen weltweit.“ Beweise, dass zwischen Zentrale und Ablegern eine Verbindung in Form von Geld oder Koordination existiert, gebe es kaum.
Das gilt auch für die angeblich neueste Front: Mosambik. Seit 2017 greifen Extremisten in der armen, aber gasreichen nördlichen Provinz Cabo Delgado zunehmend Menschen an. Von mehr als 400 Angriffen habe der IS mindestens 35 in seinen Propaganda-Kanälen beansprucht, sagt Jasmine Opperman. Über diesen „Medien-Dschihad“ hinaus habe sie aber keine Anweisungen oder Unterstützung des IS gesehen, sagt die Analystin beim Konflikt-Institut ACLED.
Wachsam bleiben Terrorismusexperten trotzdem, weil der IS im Irak und in Syrien wieder stärker Fuß fassen könnte. In den ersten drei Monaten 2020 soll der IS allein im Irak 560 Anschläge verübt haben – im Vergleich zu 290 im Vorjahreszeitraum. Das „jüngste Tempo der Gewalt“ sei vergleichbar mit der Lage im Jahr 2012, als die Gruppe vor ihrem „militärischen Durchbruch“ im Irak und in Syrien stand.