München – In Italiens Öffentlichkeit schlug die Nachricht ein wie eine Bombe. Der Regionalpräsident von Sizilien, Nello Musumeci, hatte am Sonntagmorgen ein Dekret erlassen, in dem er die Schließung aller Häfen sowie der Aufnahmezentren für Migranten in der Region anordnete. Die Flüchtlinge, hieß es darin, sollten von der Insel aufs Festland überführt werden – und zwar bis spätestens Montag, 24 Uhr.
Damit eskalierte ein seit Tagen köchelnder Streit zwischen der sizilianischen Regionalregierung und Rom. Hintergrund ist die steigende Zahl von Bootsmigranten, die in Sizilien und auf Lampedusa anlanden und – so sagt Musumeci – ein potenzielles Gesundheitsrisiko für die einheimische Bevölkerung darstellen. Allein auf Lampedusa seien 58 Flüchtlinge mit dem Coronavirus infiziert, erklärte der Regionalpräsident. In den überfüllten Lagern ist die Einhaltung der zweiwöchigen Quarantänepflicht schwer, zuletzt mussten sogar Soldaten mithelfen.
Tatsächlich kämpft Italien – im Schatten von Corona international eher unbemerkt – mit einer steigenden Zahl von Bootsmigranten. 17 200 kamen allein in diesem Jahr, im Vorjahreszeitraum waren es etwas mehr als 4600. Musumeci, der 2017 als Kandidat eines Mitte-Rechts-Bündnisses gewählt wurde, drängt Rom seit Langem zum Handeln. Entsprechend scharf ist sein Ton. „Sizilien setzt sich jetzt gegen die Invasion zur Wehr, während Europa uns den Rücken zukehrt und die Regierung in Rom untätig ist“, schrieb er bei Facebook.
Allerdings hat der 65-Jährige in der Migrationsfrage keine Handhabe, was Rom sofort klarstellte. Das Dekret sei gegenstandslos, hieß es aus dem Innenministerium. Aber der Konflikt war aufgebrochen – sogleich sortierten sich auch die Lager. Italiens ehemaliger Innenminister Matteo Salvini lobte das Dekret als „beispielhaft“ – Fausto Raciti von der demokratischen Partei sagte indes: „Die Jagd auf Migranten ist nicht nur barbarisch. Sie schützt Sizilianer auch nicht vor dem Virus und verunsichert und ängstigt in einer Zeit, in der Klarheit und Vorsicht geboten sind.“
Ein Zusammenhang lässt sich nicht ganz abstreiten. Am Samstag meldete Sizilien 48 Neuinfektionen mit dem Virus, 16 davon standen offenbar in Zusammenhang mit neu angekommenen Migranten. Für das Gros der Neuinfektionen – allein am Samstag waren es italienweit mehr als 1000 – sind aber vor allem Reiserückkehrer verantwortlich.
Zwar verstrich Musumecis Frist folgenlos – die Lager bestehen nach wie vor. Der Regionalpräsident bleibt aber hart. Er kündigte an, im Zweifel vor Gericht ziehen zu wollen. Außerdem gängelt er die Regierung in Rom mit den Mitteln, die ihm bleiben. So wies er Siziliens Gesundheitsbehörden an, in allen Aufnahmezentren für Migranten Gesundheitskontrollen durchzuführen und auch die Einhaltung der für Asylzentren vorgeschriebenen Hygiene-Auflagen zu prüfen. Für Rom eine unangenehme Sache. Auch dort ahnt man, dass die Standards in den überfüllten Zentren nicht eingehalten werden können.
Die Regierung wiederum verteidigt sich und ruft Musumeci zur Zusammenarbeit auf. Man habe sich stets darum bemüht, „die Auswirkungen des starken Migrationsdrucks auf Sizilien“ zu vermindern, hieß es aus dem Innenministerium. Seit Januar seien etwa 3500 Migranten in andere Regionen verlegt worden, für ankommende Migranten gebe es zudem eine Corona-Testpflicht. Nach einer Verständigung im Streit klingt das nicht.
Musumeci mag mit seinem Dekret nicht durchkommen, eines hat er aber schon erreicht: Aufmerksamkeit. Endlich registriere Rom den „außergewöhnlichen Notfall“ auf Sizilien, schrieb er bei Facebook. Was daraus folgt, ist aber offen. M. MÄCKLER mit kna