Berlin – Es ist eine Koalition im Endstadium, die im Kanzleramt zu ihren ersten Beratungen nach der Sommerpause zusammenkommt. In gut einem Jahr wird gewählt. Olaf Scholz ist diesmal nicht mehr nur der Vizekanzler, sondern auch SPD-Kanzlerkandidat, als er bei der amtierenden Regierungschefin Angela Merkel vorfährt. Schlechte Zeiten für gemeinsame Politik, sollte man meinen. Trotzdem erscheint die von Anfang an wackelnde schwarz-rote Koalition jetzt stark und stabil wie selten. Die Corona-Krise wirkt disziplinierend. Der Wahlkampf, so sagen es Teilnehmer danach, wirft im Kanzleramt nur punktuell seinen Schatten voraus.
Rückblick: 21 Stunden brauchten Schwarz und Rot Anfang Juni, um ein 130 Milliarden Euro schweres Konjunkturpaket im Kampf gegen die Corona-Folgen zu schnüren. Lange knirschte es in der Koalition – jetzt lief es plötzlich wie geölt. Ob eine Absenkung der Mehrwertsteuer oder spürbare Entlastungen von Familien und Firmen – es gab Lob von Arbeitgebern, Ökonomen, Umweltschützern.
Diesmal gibt es erst Törtchen, wegen des Infektionsschutzes unter Folie, und abends Steaks. Die gut achtstündigen Beratungen bis in den späten Dienstagabend teilen sich in zwei unterschiedliche Phasen auf. Auf einen sehr konkret-inhaltsreichen Part zum weiteren Umgang mit den befristeten Maßnahmen zur Hilfe von Betrieben und Familien sollen etwa zwei Stunden entfallen sein. Längeres Kurzarbeitergeld, mehr bezahlte Tage für die Betreuung kranker Kinder, weitere Hilfen für kleine Firmen, Laptops für Lehrer – die Beschlüsse betreffen Millionen Menschen ganz konkret. Und man lobt sich selbst: Es gehe nicht darum, die Kurzarbeit auf ewig weiterzuführen, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). „Wir haben mit der tiefsten Wirtschaftskrise unserer Generation zu tun und die wird nicht ab dem 1. Januar vorbei sein.“ Trotz der prognostizierten Erholung der Wirtschaft im kommenden Jahr brauche man diese „stabile Brücke“, um Arbeitsplätze zu sichern.
Und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ergänzt, die Beschlüsse der Koalitionsspitzen seien ein wichtiges Signal für Unternehmen und Beschäftigte. „Mit der Verlängerung des Kurzarbeitergelds und der Verlängerung der Überbrückungshilfen helfen wir Arbeitnehmern und Mittelstand, diese ernste Krise zu überstehen und Arbeitsplätze zu erhalten“, sagte er.
Und Scholz? Der erste nominierte Kanzlerkandidat für diese Bundestagswahl? Er sei gewesen wie immer, heißt es hinterher. Engagement, Tempo, Sprechweise – „alles gleich“. Das Signal: Bloß noch keinen Wahlkampf. Nicht leicht hat es Unionsfraktionschefs Ralph Brinkhaus (CDU). Brinkhaus, so heißt es, verleiht seiner Meinung auch in Koalitionsrunden und in Anwesenheit der Kanzlerin teils ziemlich laut Ausdruck, zu viel Harmonie ist seine Sache nicht..
CSU-Chef Markus Söder will jeden Eindruck von Machttaktik vermeiden. Ihm werden schließlich Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur in der Union unterstellt. Nun gibt er zu Protokoll: „Es war gestern kein Wahlkampf-Koalitionsausschuss. Sondern es war eigentlich einer wie immer. Und das fand ich sehr positiv.“ Das Lob gilt damit auch der SPD.
Als die vier Parteivorsitzenden – Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Söder (CSU) und Saskia Esken an der Seite von Norbert Walter-Borjans (beide SPD) – die Ergebnisse präsentieren, fehlen Kanzlerin und Vizekanzler. Ob hinter diesem Drehbuch Kalkül steckt, bleibt offen. Merkel dürfte jedenfalls wenig Interesse daran haben, ihrem Vizekanzler allzu viel Werbefläche zu bieten. Gerade im Kanzleramt – wo er Merkel ja beerben will.