ALEXANDER WEBER
Reichsflaggen auf den Stufen des Berliner Reichstags sind ein Anblick, der für jeden Demokraten in Deutschland unerträglich ist. Und ja, es muss hinterfragt werden, warum die ansonsten richtige Berliner Polizeitaktik an diesem Demonstrations-Samstag ausgerechnet an der sensibelsten Stelle ihre Achillesferse offenbarte.
Und dennoch: Trotz dieser schändlichen Bilder war es richtig, dass die Richter das Demo-Verbot des Innen-Senators Geisel unter Auflagen gekippt hatten. Demokratie ist keine Schönwetter-Inszenierung. Das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit muss auch dann gelten können, wenn die dort vertretenen Meinungen (und das sind bei diesem Sammelsurium aus Normalbürgern, Verschwörungstheoretikern, Frieden-für-alle-Bewegten, Spinnern und Rechtsradikalen ja viele unterschiedliche) laut Umfragen von 90 Prozent der Bürger abgelehnt werden.
Keine Frage: Man darf Etliches an der Regierungspolitik zur Corona-Bekämpfung hinterfragen und ablehnen. Unglaubwürdig wird die Kritik jedoch, wenn sie maßlos wird. Etwa, wenn Schilder mit Aufschriften wie „Corona-Diktatur“ hochgehalten werden und ein Teil jener armen unterdrückten Menschen ausgerechnet zur russischen Botschaft pilgert, um dort lautstark dem lupenreinen Demokraten Putin zu huldigen. Was wohl der im Koma liegende Kreml-Kritiker Andrej Nawalny dazu sagen würde? Im Übrigen: Das leichtfertige Inkaufnehmen der Infektion anderer ist kein Freiheitsrecht. Um mit Immanuel Kant zu sprechen: Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit (in diesem Fall gesundheitliche Unversehrtheit) des Anderen beginnt.
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