Eine Bannmeile um das Parlamentsgebäude?

von Redaktion

Berlin diskutiert, wie Sicherheit und Offenheit im Regierungsviertel kombiniert werden können

Berlin – Auf den Sturm folgt die Aufarbeitung. In Berlin wird nach dem Vordringen Rechtsextremer bis zum Reichstagsgebäude intensiv über eine Verschärfung der bisher sehr liberalen Demonstrationsregeln im Regierungsviertel diskutiert.

Voraussichtlich am Mittwoch tritt der Ältestenrat des Bundestages auf Antrag von Union und SPD zu einer Sondersitzung zusammen. Die Meinungen, wie künftig mit Demonstrationen umgegangen werden soll, gehen weit auseinander, teilweise sogar innerhalb einer Partei. So schlug Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) vor, auch in Berlin eine strikte Bannmeilen-Regelung mit einem Totalverbot einzuführen. Sein Parteifreund Stephan Mayer, Staatssekretär im Innenministerium, sieht dafür keine Notwendigkeit. Es sei ein Markenzeichen der parlamentarischen Demokratie, dass sie transparent und erfahrbar sei. Ähnlich äußerte sich die Grünen-Politikerin Claudia Roth, Vizepräsidentin des Bundestages. „Wir sind kein Hochsicherheitstrakt“, sagte sie.

Während in Bonn noch ein Bannmeilengesetz gegolten hatte, das Demonstrationen im Regierungsviertel grundsätzlich untersagte, wählte man in Berlin mit dem Umzug 1999 eine liberalere Regelung. Das Gebiet ist als „befriedeter Bezirk“ ausgewiesen. Das heißt, dass Demonstrationen erlaubt sind, erst recht in sitzungsfreien Zeiten. Allerdings müssen sie, anders als sonst, nicht nur angemeldet, sondern auch zugelassen werden, worüber das Innenministerium zusammen mit dem Bundestagspräsidenten entscheidet. Absagen gab es bisher nur selten, schlechte Erfahrungen kaum. Ausländische Besucher staunen meist, wie nah Demonstranten Parlament und Kanzleramt kommen können.

Auch im konkreten Fall hatte es seitens des Bundestages keine Einwände dagegen gegeben, dass eine Reichsbürger-Gruppe namens „Staatenlos e.V.“ im Rahmen der Corona-Demonstrationen des Wochenendes auf der Wiese vor dem Gebäude eine Bühne aufbaute. Von dieser Gruppe ging die Erstürmung der Reichstagstreppe aus. Die ständig dort stehenden Absperrgitter wurden durchbrochen und einige hundert Menschen zogen mit Flaggen rechter Organisationen, darunter der Reichsfahne, johlend bis zur Eingangstür. Diese wurde von drei Polizisten mit Schlagstöcken verteidigt.

Das Erschrecken über den Vorfall war allgemein groß. Von „schändlichen Bildern“ sprach Regierungssprecher Steffen Seibert auch im Namen der Bundeskanzlerin. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble nannte die Ereignisse „verabscheuungswürdig“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfing am Montagvormittag demonstrativ sieben Polizisten im Schloss Bellevue, darunter die drei von der Reichstagstreppe. Nach einem einstündigen Gespräch sagte er, die Ereignisse seien gerade vor dem Hintergrund der Geschichte des Gebäudes „unerträglich“.

Der Berliner Polizei waren die Vorgänge sichtlich peinlich, wie bei einer Sondersitzung des Innenausschusses des Landesparlaments deutlich wurde. Zwar habe man die Gruppe vor dem Reichstagsgebäude im Blick gehabt, sei aber „schlichtweg überrannt“ worden, sagte ein Polizeiführer. WERNER KOHLHOFF

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