Berlin – Ob es die nötige Mehrheit überhaupt geben wird, ist eine Frage für Propheten. Zumindest der Wille für ein rot-rot-grünes Bündnis nach der Bundestagswahl 2021 schien zuletzt aber zu wachsen, auch bei der sonst so störrischen Linkspartei. Selbst die Auflösung der Nato, die Teil des Grundsatzprogramms ist, schien plötzlich kein Glaubenssatz mehr. Einigen West-Linken geht das aber zu weit.
In einer gemeinsamen Erklärung bekräftigen die Unterzeichner außenpolitische Maximalforderungen – neben der Nato-Auflösung auch das Verbot von Rüstungsexporten und die Beendigung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr. Letzteres sei „auch keine Frage, die mit anderen Parteien ‚diskursiv‘ geklärt werden könnte“, heißt es in dem Schreiben. „Die Frage der Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Frage, wie wir zum Aufrüstungspakt Nato stehen, sind der Lackmustest unserer friedenspolitischen Glaubwürdigkeit.“
Heißt: Bei der Außenpolitik hört die Kompromissbereitschaft auf. Die Unterzeichner torpedieren damit die Bemühungen eher pragmatisch gesinnter Genossen, regierungsfähig zu erscheinen. Zuletzt hatte der Fraktionschef im Bundestag, Dietmar Bartsch, im Deutschlandfunk gesagt, seine Partei werde die „Nato nie auflösen“, das sei eine „Überschätzung sondergleichen“. Gregor Gysi äußerte sich ähnlich, die scheidende Parteichefin Katja Kipping hatte im ZDF zumindest von einer laufenden „Debatte“ gesprochen.
Das sehen die Unterzeichner anders. Zu ihnen gehören 31 Bundestagsabgeordnete, unter anderem die Außenpolitikerin Sevim Dagdelen und die umstrittenen Fraktionsvizes Andrej Hunko und Heike Hänsel. Landeschefs aus dem Westen (auch aus Bayern) sind ebenfalls dabei, außerdem die Partei-Vizes Tobias Pflüger und Ali Al-Dailami.
Es ist also kein Aufstand der dritten Reihe, Al-Dailami gilt sogar als einer der Kandidaten für den Parteivorsitz. Auch deshalb werden SPD und Grüne den anstehenden Linken-Parteitag am 31. Oktober und 1. November genau verfolgen. Nach dem angekündigten Rückzug der Parteichefs Kipping und Bernd Riexinger will die Linke dann eine neue Doppelspitze wählen und sich inhaltlich für die Wahl aufstellen. Das Schreiben ist wohl als Auftakt des Widerstands gegen den Annäherungskurs zu verstehen.
Vieles wird davon abhängen, wer die neue Doppelspitze stellt. Im Rennen sind auch die Fraktions-Chefinnen aus Hessen und Thüringen, Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow, außerdem Bundestags-Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte, der dem Reformer-Lager zugerechnet wird. Offiziell gibt es noch keine Kandidaten, Riexinger sagte aber gestern, dies werde eher „eine Sache von einigen Tagen sein als von Wochen“. Er und Kipping seien „sehr zuversichtlich, dass wir eine gute Nachfolge bekommen werden“. Eine Präferenz wollten beide aber nicht äußern.
Sich öffnen oder den alten Prinzipien treu bleiben? Die Auseinandersetzungen zwischen Hardlinern und Reformern dürften hart werden. In dem Schreiben heißt es, die außenpolitische Kompromissbereitschaft sei ein Versuch, „den Markenkern der Linken“ zu beschädigen. Und weiter in Richtung Rot-Grün: Eine Regierungsbeteiligung, für die „friedenspolitische Grundsätze über Bord“ geworfen werden, sei „nicht erstrebenswert“. mmä/dpa