Die Ratspräsidentschaft – eine Zwischenbilanz

von Redaktion

Die EU-Ratspräsidentschaft wird von hohen Erwartungen begleitet. Zwei von sechs Monaten sind vergangen. Was wurde im ersten Drittel der Präsidentschaft geschafft, was ist angeschoben, was offen?

VON ALEXANDER WEBER

Finanzen

Den größten Erfolg konnte Angela Merkel in Zusammenarbeit mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und EU-Ratschef Charles Michel gleich zu Beginn beim EU-Gipfel im Juli verbuchen. In einem fünftägigen Verhandlungsmarathon einigten sich die 27 Staaten auf einen Corona-Hilfsfonds in Höhe von 750 Milliarden Euro und auf einen Finanzrahmen der EU in Höhe von über 1 Billion Euro für die Jahre 2021 bis 2027.

Jetzt beginnt der steinige Teil des Weges: Der Anfangseuphorie über das Signal der Handlungsfähigkeit Europas folgte die Ernüchterung über bittere Pillen, die in den Gipfelbeschlüssen enthalten sind. Bei der Umsetzung kommt dem EU-Parlament eine Schlüsselrolle zu. Denn die Haushaltsbeschlüsse der Staats- und Regierungschefs (nicht der Corona-Hilfsfonds) bedürfen der Zustimmung der Abgeordneten. Da die Milliarden aus dem Corona-Fonds aber eng mit den Haushaltsfragen verknüpft sind, sind auch sie Gegenstand der Verhandlungen zwischen Rat, Parlament und Kommission, die gerade begonnen haben. Die Hauptstreitpunkte:

Verwendung der Corona-Hilfen: 90 Prozent der Gelder sollen direkt in die nationalen Haushalte fließen und nicht projektgebunden vergeben werden können. Daran gibt es scharfe Kritik. EVP-Fraktionschef Manfred Weber schlägt stattdessen die Schaffung einer zentralen EU-Agentur vor, die die Verwendung der Gelder überprüft. „Es darf keine Korruption geben, das Geld darf nicht in die Schattenwirtschaft gehen.“ Zugleich dürfe das Geld nur im Gegenzug zu Reformen fließen.

Kürzungen im Mittelfristigen Finanzrahmen: Gegenüber dem Entwurf von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beschlossen die Gipfelteilnehmer zahlreiche Mittelkürzungen. Die EU-Parlamentarier lehnen dies kategorisch ab und fordern Nachbesserungen: Mehr Ausgaben für Forschung und Gesundheit, das Studentenprogramm Erasmus und beim „Fonds für einen gerechten Wandel“ hin zu einer klimafreundlichen Wirtschaft.

Rechtsstaatlichkeit: Die Abgeordneten pochen auf einen Mechanismus, mit dem Mitgliedstaaten wie Ungarn oder Polen die Subventionen aus Brüssel gekürzt oder ganz gekappt werden können, wenn sie Einschränkungen der Justiz, der Medien oder der Demokratie in ihrem Land beschließen. Bewertung: Einigungschancen sind da, weil der Druck groß ist. Werden die Finanzgespräche nicht bis Jahresende abgeschlossen, geht der EU Anfang 2021 das Geld aus.

EU-Asylpolitik

Ursula von der Leyen sprach schon in ihrer Antrittsrede im November 2019 von einem neuen Anlauf in dieser seit 2015 offenen Streitfrage. Mit der Übernahme der Ratspräsidentschaft versprach auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), für „einen großen Sprung“ bei der Asylreform zu kämpfen. Sein Ziel: Asylverfahren direkt an der EU-Außengrenze, um nicht schutzberechtigte Menschen von dort aus direkt wieder in ihre Herkunftsländer abzuschieben. Damit müssten jährlich zehntausende Flüchtlinge weniger in der EU verteilt werden. Seehofer will zugleich aber auch legale Wege nach Europa öffnen, um Menschen die Arbeitsaufnahme zu ermöglichen.

Osteuropäische Länder wie Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei lehnen es kategorisch ab, sich an der Aufnahme von Flüchtlingen zu beteiligen. Außengrenzstaaten wie Griechenland, Malta und Zypern fürchten, mit der Asyllast alleine gelassen zu werden. Ende September wird Innenkommissarin Ylva Johansson einen Kompromissvorschlag vorlegen. Bewertung: Ob es noch während der deutschen Präsidentschaft eine Einigung geben wird, ist offen.

Brexit

Am 31. Dezember läuft die Übergangsphase aus, in der Großbritannien trotz Brexit noch Mitglied des Binnenmarktes ist. Ohne neuen Vertrag über die künftigen Beziehungen droht am 1. Januar der gefürchtete „harte Brexit“. Die Verhandlungen zwischen dem EU-Chefunterhändler Michel Barnier und seinem britischen Pendant David Frost verliefen praktisch ohne jeden Fortschritt.

Bewertung: Die Aussichten auf ein Abkommen sinken täglich, ein vermittelnder Einfluss Deutschlands ist bisher nicht erkennbar.

Gasstreit im Mittelmeer

Zwischen den Nachbarstaaten Griechenland, Zypern und der Türkei ist ein heftiger Streit um vermutete riesige Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer entbrannt, zuletzt sogar mit Kriegsdrohungen der türkischen Seite. Die EU droht der Türkei mit Sanktionen, sollte sie nicht Gespräche mit Griechenland aufnehmen. Während Frankreich die Muskeln spielen lässt und seine militärische Präsenz in der Ägäis verstärkt, versucht sich Berlin in der Rolle des ehrlichen Maklers. Bisher ohne Erfolg, die Eskalationsspirale dreht sich – angetrieben durch Provokationen Ankaras. An der deutschen Vermittlerrolle gibt es in diplomatischen Kreisen zunehmend Zweifel. Berlin agiere gegenüber dem türkischen Präsidenten Erdogan zu zögerlich, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Gründe für das deutsche Zaudern werden in der Berliner Sorge vor einem Bruch des Flüchtlingspakts vermutet sowie in der großen Zahl türkisch-stämmiger Menschen in Deutschland.

Bewertung: Die deutsche Ratspräsidentschaft konnte in diesem Konflikt noch keinen erkennbaren Erfolg erzielen.

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