München – Der Fall Nawalny belastet die ohnehin schwierigen deutsch-russischen Beziehungen massiv. Lässt sich Wladimir Putin von Angela Merkels deutlichen Worten beeindrucken? Unsere Zeitung sprach darüber mit Sabine Fischer, Russland-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Ungewöhnlich deutlich hat Angela Merkel die russische Regierung für den Anschlag verantwortlich gemacht. Ist das eine Trendwende der deutschen Außenpolitik?
Ich glaube tatsächlich, dass wir hier vor einer Zäsur stehen. Das ist auch im Zusammenhang mit der sich verschärfenden Situation in Belarus zu sehen.
Den Worten müssten aber auch Taten folgen.
Die EU hat ja bereits 2014 im Zusammenhang mit der Krim-Annexion und dem Krieg im Donbas personenbezogene und Wirtschafts-Sanktionen verhängt, zudem wurden institutionalisierte Kontakte bis heute unterbrochen. Neben weiteren Sanktionen steht auch im Raum, Nord Stream 2 zu stoppen.
Wie wird in Russland über Nawalny berichtet?
Es wird jede Verwicklung der russischen Führung abgestritten und die Glaubwürdigkeit der deutschen Untersuchungsergebnisse fundamental in Frage gestellt. Man wirft die üblichen Nebelkerzen.
Das ist doch eine erfolgreiche Strategie: Deutschland wird ja schwer Beweise für die Verwicklung des Kreml in den Giftanschlag präsentieren können…
Natürlich wird man das ohne die Mitarbeit staatlicher russischer Instanzen nie letztgültig beweisen können. Aber mit dem Nachweis des Giftstoffes aus der Nowitschok-Familie hat das Ganze eine neue Dimension erreicht. Das weist darauf hin, dass hier staatliche Instanzen verwickelt sind.
Warum wird hier ein so offensichtlich „staatlicher“ Giftstoff verwendet?
Das ist Teil einer Einschüchterungs-Strategie, ein starkes Signal an andere Oppositionelle. Es gibt in Russland zwei getrennte Ebenen: Die Staatsmedien, in denen Nawalny überhaupt nicht oder extrem verzerrt vorkommt. Und die unabhängigen Medien, die prominent darüber berichten – deren oppositionelle Nutzer sind das Ziel der Einschüchterungsversuche. Nawalny ist der wichtigste Oppositionspolitiker Russlands, er hat eine Popularität wie kein anderer Systemkritiker. Letztendlich habe ich mich in den letzten Jahren immer wieder gefragt, wann Nawalny etwas passieren würde.
Warum hat die russische Regierung zugelassen, dass Nawalny nach Berlin gebracht wurde?
Angela Merkel ist nach wie vor eine der wenigen westlichen Führungsfiguren, deren Gewicht ausreicht, um auch über solch schwierige Themen mit Putin zu sprechen und solch eine Entscheidung herbeizuführen. Möglicherweise ist man in Moskau schlicht überrascht worden, dass Nawalny überlebt hat.
Kann Merkel als EU-Ratsvorsitzende in der EU Geschlossenheit herstellen?
Abschließend kann ich das nicht beantworten, aber ich vermute, dass das möglich sein wird, weil dies durch die Prominenz Nawalnys ein besonders schwerer Fall ist.
Wird sich Putin beeindrucken lassen?
Es wird sehr kontrovers diskutiert, ob die Sanktionen auf Russland, die es seit sechs Jahren gibt, wirken. Ich gehöre zu denen, die überzeugt sind, dass diese Sanktionen durchaus Wirkung zeigen.
Interview: Klaus Rimpel