Gasstreit mit historischen Wurzeln

von Redaktion

VON CHRISTOPH SCHMIDT

Athen/Ankara – Eine Initiative von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zur Vermittlung zwischen Griechenland und der Türkei im Streit um die Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer verläuft schwierig. Die Regierung in Athen dementierte Angaben Stoltenbergs, sie habe sich mit Ankara bereits über den Beginn „technischer Gespräche“ zur Deeskalation geeinigt. Dies entspreche „nicht der Realität“, erklärte das griechische Außenministerium. Eine Deeskalation werde es erst bei einem „sofortigen Abzug aller türkischen Schiffe vom griechischen Kontinentalschelf“ geben.

Stoltenberg hatte zuvor mitgeteilt, die beiden Nato-Staaten seien bereit, Gespräche zur Beilegung des Streits um die Gasvorkommen zu führen. Im Rahmen der Nato wollten die beiden Länder „Mechanismen für eine militärische Konfliktvermeidung schaffen“. Damit solle das Risiko von Zwischenfällen verringert werden.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nutzte kürzlich den alljährlichen „Tag des Sieges“, um verbal aufzurüsten. Die Türkei werde nicht zögern, „Märtyrer zu stellen“, wenn es zum Kampf komme. „Selbst wenn der Westen sich mit Stahlmauern absichert, wir werden sie mit unserer eisernen Brust zerstören. Das sind die Tage, die Gott uns geschenkt hat.“ Parolen wie aus einer anderen Zeit aus dem Mund eines Nato-Partners. Das kulturreligiöse Vorspiel dazu lieferte er im Juli mit der Umwandlung der einst griechisch-orthodoxen Hagia Sophia in eine Moschee.

Der „Tag des Sieges“ erinnert an die vernichtende Niederlage der griechischen Invasionsarmee durch die Türken 1922. Gleich nach dem Ersten Weltkrieg hatte Griechenland das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen und seine Truppen nach Kleinasien geschickt. Doch der Traum von der alten neuen Hauptstadt Konstantinopel, dem türkischen Istanbul, endete mit Massakern und Massenvertreibungen auf beiden Seiten.

Der Friedensvertrag von Lausanne regelte 1923 neben den bis heute gültigen Grenzen die „Umsiedlung“ von 1,25 Millionen Griechen und einer halben Million Muslime. Ausgenommen davon waren nur die griechische Bevölkerung in Istanbul und die muslimische Minderheit in West-Thrakien. Die Eroberung Konstantinopels durch die türkischen Osmanen 1453 und ihre oft brutale Besatzung in Griechenland, das 1830 unabhängig wurde, waren immer eine Hypothek für das Verhältnis beider Nachbarn. Gleichzeitig herrschte über Jahrhunderte ein gewisser Pragmatismus zwischen christlichen Griechen und muslimischen Türken, schon wegen des starken griechischen Bevölkerungselements in Kleinasien.

Erst das Gift des Nationalismus und der drohende Zerfall des Osmanischen Reiches rissen im 19. Jahrhundert die Gräben wieder auf. Die Übertragung der meisten Ägäis-Inseln an Griechenland im Lausanner Vertrag haben die Regierungen in Ankara, egal ob nationalistisch oder sozialdemokratisch, nie in dieser Form akzeptiert.

Wie schnell dabei Misstrauen in Gewalt umschlagen konnte, zeigten 1955 die schweren Pogrome eines aufgehetzten Mobs gegen die verbliebenen Griechen in der Türkei. Zuvor war das Gerücht verbreitet worden, griechische Nationalisten hätten wegen des Streits um Zypern das Geburtshaus des Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk in Thessaloniki zerstört. Den Nordteil des griechisch dominierten Zypern ließ der sozialdemokratische Ministerpräsident Bülent Ecevit 1974 besetzen und zur Republik ausrufen. International anerkannt wurde sie nie.

Beide Kulturen verbinde eine Erblast, aber keine Erbfeindschaft, meint Yunus Ulusoy, Wissenschaftler am Essener Zentrum für Türkeistudien. „Griechen und Türken sind wie zwei Verwandte, die sich dauernd streiten, aber genau spüren, dass sie trotz des religiösen Unterschieds kulturell verbandelt und ähnlich sind.“ Ihre Gemeinsamkeiten reichten bis hinein in Küche, Musik und Volkstänze.

Noch vor einem Jahr hatte Erdogan eine Umwandlung der Hagia Sophia wegen des drohenden außenpolitischen Schadens öffentlich abgelehnt. Nun aber setze der unter Druck stehende Präsident ganz auf die nationalistisch-islamistische Karte, so Ulusoy. Den Grund dafür sieht er in einer unheilvollen Mischung aus Angst vor persönlichem Machtverlust durch die Wirtschaftskrise und vor Stimmenverlusten im rechtskonservativen Milieu einerseits sowie den Verlockungen einer neo-osmanischen Agenda andererseits.

Der griechisch-orthodoxe Theologe Konstantin Nikolakopoulos sagt: „Sicher spielt Erdogan mit antigriechischen Propagandaklischees.“ Der autoritäre Staatschef lade einen politischen Konflikt „sehr ungeschickt“ mit kulturellen und religiösen Bezügen auf und versuche, „mit der Geschichte zu sprechen“, so der Professor an der Uni München.

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