8 Milliarden Euro für freie Betten

von Redaktion

VON STEFAN REICH

München – Zeit gewinnen. Verhindern, dass das Gesundheitssystem überlastet wird: Das war im März die Maxime, die unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als Maßstab für alle Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung ausgab. Es waren die Tage, in denen man in Bergamo bereits zur Triage übergegangen waren, jener schmerzhaften Auswahl, wem noch geholfen wird.

Deutschland überstand die erste Corona-Welle vergleichsweise glimpflich. Auch weil die Intensivstationen besser ausgestattet waren als in Italien. Jetzt, sechs Monate später, scheinen die deutschen Kliniken trotz steigender Corona-Fallzahlen weit von der Belastungsgrenze entfernt. Auch weil viel zusätzliches Geld in den weiteren Ausbau und in das Freihalten von Kapazitäten floss.

Im Frühjahr waren unter dem Eindruck von Bergamo ganze Kliniken und Reha-Einrichtungen für Covid19-Patienten leer geräumt worden. Massenhaft wurden Operationen verschoben, um Platz auf Intensivstationen freizuhalten. So waren nicht einmal im April, als zeitweise mehr als 6500 Neuinfektionen am Tag gemeldet wurden, die Intensiv-Kapazitäten voll ausgelastet. Damals lagen bundesweit maximal 3000 Covid19-Patienten gleichzeitig auf Intensivstationen. In Oberbayern war am 6. April mit 345 Covid-Fällen auf Intensivstationen ein Höchststand erreicht. Noch einmal so viele Plätze wären zu diesem Zeitpunkt verfügbar gewesen. Inzwischen verfügen alleine die bayerischen Universitätskliniken über ein Potenzial von 730 Beatmungsplätzen.

Bundesweit wurden auch nach dem Höhepunkt der ersten Welle neue Intensivbetten geschaffen. Geschätzt 28 000 gab es vor der Corona-Pandemie. Als Ende April 2020 das neu eingeführte Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) voll in Betrieb war, verzeichnete es einen Gesamtbestand von fast 33 000 Intensivbetten. Auch wurden viele einfache Intensivplätze für eine Beatmung hochgerüstet. Kliniken erhielten 50 000 Euro Zuschuss für jedes neue oder zum Beatmungsplatz hochgerüstete Intensivbett. 555 Millionen Euro gab der Bund hierfür bis Anfang September aus. Das entspricht 11 000 neuen Beatmungsplätzen. Als Ausgleich für Verdienstausfälle durch das Freihalten normaler Betten zahlte er 560 Euro pro Bett und Tag. Das kostete bislang 7,9 Milliarden Euro. Diese Förderung läuft nun am 30. September aus.

Das Programm wird auch als Rettungsschirm für Kliniken bezeichnet. Denn frei bleiben viele Betten schlicht deshalb, weil Menschen sich aus Angst vor einer Corona-Infektion nach wie vor scheuen, ins Krankenhaus zu gehen. Man habe die Menschen anfangs zurecht aufgefordert, nur im Notfall ins Krankenhaus zu gehen, sagt der renommierte Medizinstatistiker Gerd Antes. Doch die Politik könne angesichts der aktuellen Zahlen wieder viel lauter sagen, dass man ruhig in die Klinik gehen könne.

Professor Gerhard Schneider, Direktor der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin am Klinikum Rechts der Isar in München, sagt: „Wir haben eigene Bereiche für Corona-Patienten. Und es gelingt uns, eine Ausbreitung in andere Teile des Hauses zu verhindern.“ Auch aus Kapazitätsgründen muss der normale Klinikbetrieb aus seiner Sicht nicht eingeschränkt werden. Das sei auch wichtig, um den Rückstau bei anderen Eingriffen abzuarbeiten, solange das möglich ist. „Am Ende wird nicht nur gefragt, wie viele Covid-Tote es gab. Wir werden auch betrachten, ob es eine Übersterblichkeit wegen der Nichtbehandlung anderer Erkrankungen gab.“ Würden die Covid19-Fallzahlen deutlich steigen, habe man Stufenpläne, um binnen Tagen wieder die notwendigen Kapazitäten zu schaffen.

Derzeit befinden sich trotz zuletzt gestiegener Infektionszahlen kaum Corona-Patienten auf den Intensiv-Stationen. Bundesweit sind es rund 250, etwa die Hälfte wird invasiv beatmet. Als Erklärung wird vor allem das Alter der Infizierten genannt. Anfang April entfiel laut RKI jede fünfte Neuinfektion auf die Altergruppe 70 plus. Damals grassierte das Virus in Alten- und Pflegeheimen. In der zweiten Augusthälfte waren nur drei von 100 Neuinfizierten älter als 69 Jahre.

Artikel 3 von 11