Kolesnikowa: Lieber Haft als Abschiebung

von Redaktion

VON ULF MAUDER

Minsk – Unter Zwang wollte Alexander Lukaschenko – auch als „Europas letzter Diktator“ bekannt – Maria Kolesnikowa ins Ausland abschieben. Doch die 38-Jährige, die als studierte Musikerin auch das Improvisieren beherrscht, schlug dem Machtapparat ein Schnippchen. Sie zerriss ihren Pass und machte damit die Abschiebung in die Ukraine unmöglich. Sie verhinderte damit, dass sie gegen ihren Willen wie andere führende Köpfe der Opposition außer Landes gebracht wurde. Stets hat die Ex-Stuttgarterin betont, dass sie kämpfe bis zum Ende.

Eine „geniale Performance“ sei das an der Grenze gewesen, Maria riskiere alles, um im Land zu bleiben, teilte ihr Mitstreiter Maxim Snak mit. Der Jurist und die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch sind die letzten in Minsk noch in Freiheit verbliebenen Mitglieder im Präsidium des Koordinierungsrates der Opposition. Weil Kolesnikowa nun aber in Haft sitzt, ist die Sorge um das bekannteste Gesicht der Demokratiebewegung in Minsk groß. Fast 24 Stunden gab es keine Spur von Kolesnikowa, die am Montag am helllichten Tag in Minsk von maskierten Unbekannten in einem Minibus verschleppt worden war.

Erst ätzten die von Lukaschenko kontrollierten Medien, Kolesnikowa sei mit ihren beiden Mitarbeitern in die Ukraine abgehauen. Dann die Kehrtwende der Behörden, Kolesnikowa sei festgenommen worden wegen illegalen Grenzübertritts. International gab es Forderungen, Kolesnikowa und viele andere politische Gefangene umgehend freizulassen.

Wer Kolesnikowa mit ihrem ansteckenden Lachen kennt, merkt sofort, dass sie sich nicht unterbuttern lässt. Mit ihren zu einem Herzen geformten Händen trat sie schon schwer bewaffneten Sicherheitskräften entgegen. Sie meint, dass die Liebe zu Belarus ihre Waffe sei, mit der sie die friedliche Revolution zum Sieg führe. Kolesnikowa lässt im Gespräch keinen Zweifel, sie sei zutiefst überzeugt, dass Lukaschenkos Tage gezählt seien. Doch dessen Schicksal liegt nun vor allem in der Hand eines Mannes: Kremlchef Wladimir Putin.

Der russische Präsident steht zwar ebenfalls im Ruf, nicht zimperlich zu sein, wenn es um den Umgang mit Oppositionellen geht. Aber der Stil Lukaschenkos, Gegner wahlweise ins Gefängnis oder aus dem Land zu werfen, findet keinen Beifall in Moskau. Vielmehr hatte auch Putin mit Blick auf die Massenproteste gesagt, dass die Menschen in Belarus ein Recht darauf hätten, ihre Meinung zu äußern. Und er bezeichnete die von der EU nicht anerkannte Präsidentenwahl vom 9. August nach dem russischen Außenminister Sergej Lawrow ebenfalls als nicht ideal.

Lawrow rief zudem offen zum Dialog in Belarus auf – und räumte damit ein, dass Moskau die Spaltung zwischen Gesellschaft und Staatsführung nicht entgangen ist. Experten in Minsk halten es daher für möglich, dass Russland sich dafür entscheiden könnte, Lukaschenko zum Aufgeben zu drängen und einen neuen moskautreuen Staatslenker zu installieren. „Die Unterstützung aus Moskau ist schon nicht mehr so eindeutig wie in den ersten Tagen nach der Wahl“, meint der Politologe Arseni Siwizki.

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