Rom – Es wirkte wie eine Flucht. Die Regierung in Rom hatte gerade den Ausnahmezustand verhängt und die ersten roten Zonen im Land eingerichtet, da vernahm das geschockte Italien eine bekannte Stimme. Er sei nie so stolz gewesen, Italiener zu sein wie jetzt, ließ Silvio Berlusconi wissen. „Gott möge uns helfen“, sagte er und spendete zehn Millionen Euro für das Notkrankenhaus, das für die Corona-Kranken in Mailand gebaut werden sollte. Längst hatte sich der 83-Jährige aus seiner Villa in Arcore bei Mailand in das Anwesen seiner Tochter bei Nizza abgeseilt.
Dann nahm Corona mit bislang über 280 000 Ansteckungen und mehr als 35 000 Toten in Italien seinen Lauf. Den Sommer über blieben die Neuansteckungen niedrig, bis das Land im August vom Abstandhalten offenbar die Nase voll hatte, die Zahlen stiegen. Berlusconi war inzwischen in seine Luxus-Villa auf Sardinien übergesiedelt und genoss dort das Leben. Bis vor einer Woche der Corriere della Sera auf Seite 1 titelte „Berlusconi positiv: mir geht es gut“.
Der viermalige Ministerpräsident, der immer noch mitmischt im römischen Politikbetrieb, hatte sich aus Sorge vor einer Ansteckung regelmäßig testen lassen. Offenbar mangelte es wie immer auch nicht an Besuch in der prachtvollen Villa Certosa. Freunde, Parteigenossen, Familienmitglieder gaben sich die Klinke in die Hand. Am 14. August soll gar eine Party gestiegen sein. Nach vielen negativen Ergebnissen folgte am 2. September der positive Test.
Zunächst beschwichtigte der Betroffene, es gehe ihm ausgezeichnet, Symptome habe er nicht. Das passte zum Bild des unbesiegbaren Erfolgsmenschen, das Berlusconi gerne selbst von sich zeichnet. Zwei Tage später riet sein Leibarzt Alberto Zangrillo dann doch zur Einlieferung ins Krankenhaus. Die Diagnose: beidseitige Lungenentzündung, aber ohne künstliche Beatmung. Sein Zustand sei stabil und gebe keinen Anlass zur Sorge, heißt es bis heute. „Ich kämpfe gegen diese teuflische Krankheit“, sagte Berlusconi in einer Telefon-Schalte mit den Senatoren von Forza Italia am Dienstag.
Als die Nachricht von der Infektion die Runde machte, reagierte die Politik mit seltenen Solidaritätsbekundungen. Selbst die Protest-Partei Fünf-Sterne-Bewegung wünschte schnellstmögliche Genesung. Wer weiß, mit welchen Worten die Jünger des Sterne-Gründers Beppe Grillo Berlusconi in der Vergangenheit bedacht haben, musste sich die Augen reiben. Auch Luca Zingaretti, von Corona genesener Chef der Sozialdemokraten, wünschte gute Besserung. Ministerpräsident Giuseppe Conte meldete sich persönlich.
Es bleibt die Frage, wer Berlusconi angesteckt hat. Letztlich könnte der Politiker in die Falle getappt sein, vor der viele Experten warnen: Es sind derzeit vor allem die Jüngeren, die sich anstecken und damit ein Risiko für die ältere Generation darstellen. Zunächst fiel der Verdacht auf den ehemaligen Formel-1-Manager Flavio Briatore, der Berlusconi Mitte August auf Sardinien besucht hatte und später positiv getestet wurde. Briatores Nobel-Disko Billionaire in Porto Cervo entpuppte sich als großer Corona-Ansteckungsherd. Dann rückten Berlusconis Kinder aus zweiter Ehe, Barbara (36) und Luigi (31), in den Fokus, die sich bei einer Vergnügungsfahrt auf Capri angesteckt hatten. Auch Berlusconis neue Lebensgefährtin, die Forza-Italia-Abgeordnete Marta Fascina (30), hat Covid-19.
Der Familienfrieden scheint nachhaltig gestört. „Irgendjemand hat sich unverantwortlich verhalten“, soll Berlusconis Erstgeborene Marina (54) geschimpft haben. Vor allem für die Reputation von Berlusconis Leibarzt Zangrillo, den Chef der Intensivmedizin im San Raffaele-Krankenhaus, ist die Sache fatal. Er hatte im Juni das Virus für „klinisch tot“ erklärt. JULIUS MÜLLER-MEININGEN