Wohin mit den Menschen von Moria?

von Redaktion

VON A. CLASSMANN, T. TSAFOS UND A. ANGELOPOULOU

Berlin – Eine „einmalige Notsituation“ sei das, was sich seit dem Brand in Moria auf der griechischen Insel Lesbos abspielt, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. Deutschland stehe daher bereit, Hilfe zu leisten und neben den bis zu 150 unbegleiteten Minderjährigen bald noch weitere Menschen aufzunehmen. Wie viele Asylsuchende es am Ende sein sollen, darüber wird in der Bundesregierung noch verhandelt. Vor allem Innenminister Horst Seehofer (CSU) bremst. Er erinnert daran, dass man sich doch geeinigt habe, dass sich eine Lage wie im September 2015 „nicht wiederholen darf“.

Doch was bedeutet das konkret? Zwar ist die Lage auf Lesbos anders als am Bahnhof Keleti in Budapest, wo tausende von Migranten auf eine Gelegenheit zur Weiterreise nach Westeuropa warteten. Und doch gibt es Parallelen. Wieder geht es um die Frage, wie diese Menschen untergebracht werden und wo sie ihren Asylantrag stellen können. Auch 2015 war von einer einmaligen Notmaßnahme die Rede. Am Ende kamen Hunderttausende.

Die Mehrheit der Migranten, die auf den griechischen Inseln auf eine Weiterreise hoffen, nennen Deutschland als Ziel – oft weil schon Verwandte oder Freunde hier leben. Studien zeigen jedoch, dass es noch mehr Gründe gibt. So entstanden durch Äußerungen von Politikern und Flüchtlings-Aktivisten der Eindruck, Deutschland sei ein Land, das die Menschenrechte hoch achte und Zuwanderer generell willkommen heiße. Weitere Faktoren sind das deutsche Asylverfahren, die staatliche Wohlfahrt, das Bildungssystem und die wirtschaftliche Lage.

Für viele hilfsbereite Deutsche klingt es paradox, aber Griechenland will die Migranten trotz der schwierigen Situation auf Lesbos nicht zum Festland bringen oder gar gruppenweise nach Deutschland schicken – jedenfalls nicht ohne positiven Asylbescheid. Zuvorderst steht die Befürchtung, es könne sich eine Art „Moria-Taktik“ entwickeln – Feuer legen, um eine Notlage zu demonstrieren. Auf Samos haben die Behörden deshalb bereits Zelte geräumt, die nahe an Ortschaften liegen. Entsprechend hart sind die Ansagen aus Athen. „Mach es wie in Moria“ dürfe nicht Schule machen, warnt der Asylbeauftragte Manos Logothetis.

In vielen anderen europäischen Staaten ist die Aufnahme von Flüchtlingen überhaupt kein Thema. Man fühlt sich schlicht nicht zuständig. Auch Österreich winkt ab.

In Deutschland wird die Diskussion dafür umso lauter geführt – nicht nur von Grünen und der Linkspartei. SPD-Chefin Saskia Esken fordert eine Zusage der Regierung, mehrere tausend Menschen aufzunehmen. in der Union gab es zwar Ärger über Eskens Wortwahl und das Ultimatum, das habe binnen 48 Stunden zu geschehen. Offenbar geht es aber genau in diese Richtung. Führende Unionspolitiker, darunter Angela Merkel und Markus Söder, bemühen unisono mit Esken das Wort „substanziell“, um eine Anzahl aufzunehmender Migranten zu umschreiben. Das ist kein Zufall. Bis spätestens Mittwoch will die Koalition eine Einigung vorlegen.

Platz wird am Ende für die erste Gruppe schon da sein. Mehrere Bundesländer haben angeboten, Migranten aus Griechenland bei sich aufzunehmen. Auch 64 Kommunen und Landkreise wären nach Auskunft der Stadt Potsdam derzeit ausdrücklich bereit, aus Seenot gerettete Migranten aufzunehmen. Die Bundesregierung verlangt allerdings eine europäische Lösung. Auch weil ein Teil der Kosten für die Unterbringung, Versorgung und Integration am Ende doch nicht von Kommunen und Ländern getragen werden. Nach vorläufigen Berechnungen lagen die flüchtlingsbezogenen Belastungen des Bundeshaushalts 2019 erneut bei rund 23 Milliarden Euro.

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