Berlin – Mit einer so raschen Wendung hatte wohl keiner gerechnet. Am Montag hatte die Charité von deutlichen Fortschritten ihres berühmten Patienten Alexej Nawalny berichtet, der nach seiner Vergiftung erst einmal im künstlichen Koma gelegen hatte. Er habe sogar schon wieder das Bett verlassen, hieß es. Am Dienstag folgte dann ein erstes Bild auf Instagram. Darauf zu sehen: ein klar in die Kamera blickender Mann, umringt von seiner Frau und seinen Kindern, die sehr glücklich und erleichtert aussehen.
Die Botschaft, die der 44-Jährige und seine Verbündeten zu dem Bild posteten, zeugt von einer gehörigen Portion Galgenhumor. „Ich kann fast noch nichts machen, aber gestern konnte ich den ganzen Tag eigenständig atmen.“ Er habe dazu keine Hilfe von außen gebraucht, „nicht einmal das kleinste Ventil in meinem Hals“. Das sei „ein erstaunlicher, von vielen unterschätzter Prozess. Zu empfehlen.“
Damit kommt erstaunlich rasch Bewegung in den Fall, der in den vergangenen Wochen für massive diplomatische Verwicklungen gesorgt hatte. Zumal der Kreml-Kritiker offenbar auch nach der Attacke nicht vorhat, seine Strategie zu ändern. In der Vergangenheit hatten ihn weder Haftstrafen noch persönliche Repressionen oder Drohungen daran gehindert, die russische Regierung zu kritisieren. Gestern machte seine Sprecherin gegenüber der Nachrichtenagentur AFP deutlich, dass Nawalny nach seiner vollständigen Genesung auf jeden Fall nach Russland zurückkehren wolle. „Das stand nie in Frage“, betonte sie. Es sei „merkwürdig“, dass gedacht werde, er könnte ins Exil gehen.
Nawalny war Ende August auf einem Inlandsflug in Sibirien zusammengebrochen und zunächst zur Behandlung in ein Krankenhaus in Omsk gebracht worden. Zwei Tage später wurde er nach Deutschland ausgeflogen. Inzwischen haben mehrere westeuropäische Labore ein Nervengift der Nowitschok-Gruppe in seinem Körper diagnostiziert. Der Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes, Sergej Naryschkin, überraschte gestern mit der Behauptung, Moskau sei gar nicht mehr im Besitz von Nervengiften der Nowitschok-Gruppe. Die Gifte seien gemäß den Regelungen der Organisation für das Verbot chemischer Waffen vernichtet worden. Wer etwas anderes behaupte, betreibe „Desinformation“.
Zudem bekräftigte Naryschkin, Nawalny habe vor seinem Transport nach Berlin keine Anzeichen einer Vergiftung gezeigt. „Fakt ist, dass sich zu dem Zeitpunkt, als Alexej Nawalny russischen Boden verließ, keine Giftstoffe in seinem Körper befanden“, sagte er. „Deshalb haben wir viele Fragen an die deutsche Seite.“ Die Ärzte in dem Krankenhaus in Omsk hätten Nawalny das Leben gerettet und mehrere gründliche Tests und Untersuchungen vorgenommen.
Nach Ansicht der Mitstreiter von Nawalny in Russland wurde der Oppositionelle zum Abschluss einer Wahlkampftour in Sibirien vergiftet, als er einen Tee am Flughafen trank. Nawalny soll eng vom russischen Geheimdienst überwacht worden sein. Russland weigert sich bisher, eigene Ermittlungen im Inland zu dem Fall einzuleiten. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow brachte erneut sein „Unverständis“ zum Ausdruck, dass Moskau keine Daten zum Gesundheitszustand Nawalnys aus Berlin erhalte. Er fügte hinzu, dass „alle glücklich“ wären, wenn es diesem wieder besser gehen würde. mik/afp