Lindner: Mitregieren oder abtreten

von Redaktion

VON WERNER KOLHOFF UND RUPPERT MAYR

Berlin – Die 662 Delegierten des FDP-Parteitages sitzen in großzügigem Abstand voneinander und müssen Masken tragen, wenn sie herumlaufen. „Bitte bilden Sie keine Grüppchen“, mahnt die Sitzungsleitung. Jeder Teilnehmer bekommt eine Lunch-Tüte, bedruckt mit dem Wort „Aufstiegskraft“. Sandwich, Müsli-Riegel, Apfel.

Es ist die erste reale Zusammenkunft einer Bundespartei in diesem Jahr unter Corona-Bedingungen und damit auch ein Test. Etwa für die CDU, die im Dezember einen Vorsitzenden wählen muss. Würde nicht die Satzung jährliche Treffen vorschreiben, die FDP hätte die Tagung am Samstag auch ausfallen lassen können. Denn es gibt nichts Wichtiges zu entscheiden. Auf der Tagesordnung steht ein Leitantrag des Vorstandes mit dem umständlichen Titel „Aufbruch vom Jahr der Krisen ins Jahrzehnt des Aufstiegs“. Darin dominieren die alten Forderungen und Floskeln: „Weltbeste Bildung“, eine komplette, sogar rückwirkende Abschaffung des Soli, Steuersenkungen und eine „Wirtschaftswunder-Strategie“.

In seiner Rede kritisiert Parteichef Christian Lindner die Schuldenpolitik der Regierung, die nicht nachhaltig sei. Damit sei die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt auf Dauer nicht zu halten. Die Politik müsse vom Krisen- wieder in den Handlungsmodus wechseln und wieder mehr wirtschaftliche Dynamik erzeugen. Deutschland brauche eine „Entfesselung“. Lindner lässt auf dem Parteitag mit dem rheinland-pfälzischen Wirtschaftsminister Volker Wissing einen neuen Generalsekretär wählen, der dieses Profil schärfen soll. „Veränderte taktische Gegebenheiten“ machten den Wechsel von Linda Teuteberg zu Wissing nach nur eineinhalb Jahren notwendig, sagt er. Wissing erhält 82,7 Prozent, kein überragender Start.

Lindner verkauft das Treffen gegenüber den Journalisten als bewusstes „Signal“, dass man in der Politik wie im Leben wieder zu mehr Normalität kommen wolle und könne. In Wirklichkeit dient der Parteitag auch der Stabilisierung des Vorsitzenden selbst. Denn der ist im achten Jahr seiner quasi absoluten Regentschaft über die Liberalen in eine Krise geraten. Die Partei dümpelt in Umfragen bei knapp sechs Prozent. Die Haltung zu den Corona-Regeln war nicht immer klar. Dann kamen Thüringen und zuletzt die Ablösung Teutebergs.

Zwar trauern der scheidenden Generalsekretärin nicht viele nach, weil sie die Partei kaum profilieren konnte, aber alle wissen, dass das unter einem so dominanten Vorsitzenden auch schwer ist. Außerdem fällt nun allenthalben auf, dass die FDP keine einzige Frau von Rang mehr an der Spitze hat, zumal auch die stellvertretende Parteichefin Katja Suding ihren Rückzug angekündigt hat. Zu allem Überfluss missglückt Lindner auch noch die Verabschiedung Teutebergs. Sein Spruch, er habe mit ihr ungefähr 300 Mal den Tag begonnen, samt Kunstpause und hinterher geschobenem „Nicht, was ihr denkt“, gemeint seien die Morgenbesprechungen, wirkt wie ein Herrenwitz.

In der Aussprache gibt es ein paar kritische Beiträge. Er sei mit den Umfragen und Wahlergebnissen nicht zufrieden, sagt der Chef der Jungen Liberalen, Jens Teutrine. „Wir sind satt geworden seit der Rückkehr in den Bundestag“, ergänzt der schleswig-holsteinische Delegierte Helmer Krane.

Lindner redet eine Stunde, wie immer frei. Er spricht die Kritikpunkte alle an, auch einen, der schon drei Jahre zurückliegt: Seine damalige Absage an eine Jamaika-Koalition mit CDU und Grünen. Er stehe zu der Entscheidung, räume aber ein, bei der Kommunikation der Gründe Fehler gemacht zu haben. Diese Selbstkritik, das zeigt der Beifall, kommt bei den Delegierten an. Ebenso wie Lindners Aussage, die FDP wolle beim nächsten Mal mitregieren. „Wir spielen auf Sieg“.

In einem TV-Interview am Abend macht Lindner das noch deutlicher. „Mein Parteivorsitz, um den ich mich im Mai nächsten Jahres wieder bewerben werde, der ist ganz eng geknüpft an das Ziel, die FDP in die Regierung zu führen“, sagte Lindner dem Sender Phoenix. Im Falle eines Scheiterns werde er aber der Politik treu bleiben, zumindest in der FDP-Fraktion. Mit dieser Entscheidung wolle er die Ernsthaftigkeit seines Vorhabens unterstreichen, sagte Lindner weiter.

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