Boris Johnsons nächste Kehrtwende

von Redaktion

VON STEFAN REICH

London – Die Lage ist längst wieder ernst. So ernst, dass sich der in den letzten Monaten stetig auf Lockerungen bedachte britische Premierminister Boris Johnson zum dritten Mal während der Pandemie ans Volk wandte – und sogar darüber sprach, das Militär zu Hilfe zu rufen. Die Aufgabe, die er den Streitkräften anvertrauen will: die Polizei dabei zu unterstützen, die neuen, verschärften Corona-Regeln durchzusetzen.

Die Ankündigung passte zu der Erklärung, die er am Dienstag im Parlament für die im Vergleich zu anderen europäischen Ländern hohen Infektionszahlen gab. Im Unterschied zu vielen anderen Ländern sei „unser Land ein freiheitsliebendes Land“, so Johnson im Unterhaus. „Es ist sehr schwierig, von der britischen Bevölkerung zu verlangen, dass sie einheitlich die Regeln so befolgt, wie es notwendig ist.“

Das, und nicht etwa, wie von der Opposition angeführt die mangelhafte Testung und Kontaktnachverfolgung, sei der Grund dafür, warum das Vereinigte Königreich im Vergleich schlechter dastehe. Schlechter heißt im Moment: 3500 bis 4400 neue Fälle täglich. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen verdoppelte sich ungefähr innerhalb von sieben Tagen. Verbreite sich das Virus ungehindert im gleichen Tempo weiter, könnte Großbritannien Mitte Oktober fast 50 000 Fälle pro Tag zählen, warnen führende Gesundheitsexperten.

Und so rudert die Regierung nach dem Öffnungskurs der vergangenen Monate derzeit wieder zurück. In der vergangenen Woche wurden für England hohe Strafen für Maskenverweigerer und Quarantänebrecher beschlossen. Und am Dienstag kündigte der Premier zunächst im Parlament und später in seiner Fernsehansprache an, die Polizei werde präsenter in den Straßen des Landes sein. Gegebenenfalls könne zur Verstärkung auch das Militär eingesetzt werden, um die Corona-Regeln zu überwachen.

Die werden nun noch einmal verschärft. Pubs und Restaurants sollen von Donnerstag an spätestens um 22 Uhr schließen. Maskenpflicht soll künftig auch in Taxis oder Geschäften gelten, genauso wie in Pubs oder Restaurants. Bei Hochzeiten sind nur noch 15 Teilnehmer erlaubt. Arbeitnehmer forderte Johnson in seiner Ansprache vor den Abgeordneten auf, wenn möglich von zuhause zu arbeiten – eine neuerliche Kehrtwende nach seiner wochenlangen „Back to Office“-Kampagne.

Nach diversen Kehrtwenden in seinem Corona-Kurs muss Johnson hoffen, dass die Bürger ihm in dieser kritischen Lage folgen. So mahnte er in seiner Fernsehansprache, niemals sei das gemeinsame Schicksal so sehr abhängig gewesen vom Verhalten des Einzelnen. Das Land befinde sich an einem gefährlichen Wendepunkt. „Wir müssen das Virus jetzt unterdrücken“, so Johnson. Dafür sei gesunder Menschenverstand die wirksamste Waffe.

Die neuen Vorgaben sollen voraussichtlich sechs Monate lang gelten, allerdings nur für England. In Schottland, Nordirland und Wales entscheiden die regionalen Regierungen. Auch diese kündigten Verschärfungen an. In Schottland dürfen sich Angehörige verschiedener Haushalte nur noch im Ausnahmefall in geschlossenen Räumen treffen, im Freien nur in Kleingruppen. mit dpa/afp

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