Rückschlag im Kandidatenkampf

von Redaktion

Der Ex-Fraktionschef sorgt mit zwei Äußerungen für Ärger – Er fühlt sich missverstanden

Berlin – Es sei ein „bösartig konstruierter Zusammenhang, der in keiner meiner Äußerungen vorkommt“, wehrte sich Friedrich Merz am Tag nach der großen Empörung gegen den Vorwurf, er habe Homosexualität in Verbindung mit Pädophilie gebracht. Und auf die Frage, ob er ein Problem mit Schwulen habe, antwortete Merz im Interview mit der „Welt“: „Ganz klar: nein.“ Dennoch: Im Kampf um die Macht in der CDU könnte der Sauerländer einen Rückschlag erlitten haben.

Nicht nur ein Sturm, sondern ein regelrechter Orkan der Entrüstung ist über Merz hinweggefegt, vor allem in den sozialen Netzwerken. Der Grund: In einem Videotalk hatte der 64-Jährige sich zumindest missverständlich über einen möglichen schwulen Kanzler geäußert. Die Frage der sexuellen Orientierung gehe die Öffentlichkeit nichts an – „solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft“. Darauf angesprochen, reagierte Gesundheitsminister Jens Spahn, der offen schwul lebt, sichtlich verärgert: „Wenn die erste Assoziation bei Homosexualität Gesetzesfragen und Pädophilie sind, müssen Sie Ihre Fragen an Friedrich Merz richten, würde ich sagen.“ NRW-Ministerpräsident Armin Laschet kommentierte gestern: „Es spielt im Jahr 2020 wirklich keine Rolle mehr, wer wen liebt.“

Laschet und Spahn sind Gegenspieler von Merz im Rennen um den Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur. Beide treten als Duo an, Laschet will Vorsitzender, Spahn dessen Vize werden. Immer wieder gibt es aber auch Gerüchte, dass der Gesundheitsminister doch noch den Chefsessel anstreben könnte. Bislang hat er dies verneint.

Angesichts dieser Gemengelage bekommt die Äußerung von Merz also eine zusätzliche Brisanz, weil sie den internen Machtkampf weiter verschärft. Das Verhältnis der Kandidaten zueinander soll sich ohnehin in den letzten Wochen stark eingetrübt haben. Kommenden Montag hat Noch-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer die drei Bewerber Laschet, Merz und den Außenpolitiker Norbert Röttgen zum Rapport gebeten, um den weiteren Fahrplan bis zum Parteitag im Dezember zu besprechen. Schon länger warnt AKK vor einem „ruinösen Wettbewerb“. Die Sorge ist groß, dass die Union zerstritten in den Bundestagswahlkampf geht – und am Ende die Kanzlerschaft verspielt.

Kritiker fühlen sich jetzt in ihrer Auffassung bestätigt, dass Merz ein Mann von gestern ist – so lautete jedenfalls ein Vorwurf nicht nur in den sozialen Medien. Außerdem sorgte eine weitere Einschätzung des Sauerländers für Ärger: Man müsse „ein bisschen aufpassen, dass wir uns nicht alle daran gewöhnen, dass wir ohne Arbeit leben können“, so der Wirtschaftsexperte. Sein Appell: „Wir müssen zurück an die Arbeit.“ Das klang nach Helmut Kohls Vorwurf, Deutschland sei „ein kollektiver Freizeitpark“, und das mitten in der Corona-Krise. Außerdem haben viele trotz Pandemie weiter gearbeitet, ob hinter der Ladentheke oder im Home Office. Doch die wollte Merz nicht gemeint haben. Sein Satz habe sich auf die „sehr lange Verlängerung“ des Kurzarbeitergeldes bezogen. Kritik kam dennoch prompt, auch von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD): „Der Mann hat entweder ökonomisch keine Ahnung oder ist sozial zynisch. Oder beides.“

Dabei lief es zuletzt sehr gut für Merz. Hinter den Kulissen war zu hören, von den Bewerbern um den CDU-Vorsitz sei er der aktivste. Er netzwerke und telefoniere viel, um in den Landesverbänden für sich zu werben. Zu seinem jüngsten Auftritt heißt es hinter vorgehaltener Hand in der Partei: „Das hat ihm geschadet, auch wenn seine Äußerungen nicht so gemeint gewesen sind. So gewinnt man keine Wahlen.“ Aber genau darum geht es in der Union. HAGEN STRAUSS

Artikel 2 von 11