Lukaschenkos Versteckspiel

von Redaktion

VON ULF MAUDER

Minsk – In einer weithin als „Farce“ bezeichneten Spezialoperation hat sich der umstrittene Staatschef Alexander Lukaschenko gestern in Belarus zum sechsten Mal ins Amt einführen lassen. Im Präsidentenpalast in Minsk bezeichnete der 66-Jährige die Revolution in seinem Land als gescheitert. „Das ist unser gemeinsamer Sieg“, sagte er bei der offiziell nicht angekündigten Amtseinführung. Wie eine Geheimaktion zog der Machtapparat den Staatsakt durch. „Das ist natürlich eine Farce“, meinte die Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja in einer Videobotschaft. Die 38-Jährige beansprucht selbst den Sieg der Präsidentenwahl vom 9. August für sich.

Sie sei die einzige rechtmäßige Vertreterin des Volkes von Belarus (Weißrussland), sagte Tichanowskaja. Lukaschenko hingegen sei jetzt „Rentner“. Er habe kein Mandat mehr vom Volk. Auch Deutschland erklärte, dass Lukaschenko keine Legitimität mehr für das Amt besitze. Die gesamte EU hatte die Wahl nicht anerkannt und Lukaschenko das Recht abgesprochen, weiter zu regieren. Der seit 26 Jahren regierende Politiker machte aber zuletzt wiederholt deutlich, dass ihn die Meinung des Westens nicht kümmere. Er hatte mehr als 10 000 Menschen bei Protesten festnehmen lassen.

Der Machthaber ließ am Morgen in Minsk die großen Straßen sperren, um sich mit seiner Eskorte durch die Stadt zum Unabhängigkeitsplatz chauffieren zu lassen. Erst da machte sich in den sozialen Netzwerken Aufregung breit, ob das bedeuten könnte, dass er zur Amtseinführung in den Palast gebracht werde. Dort warteten bereits 700 Gäste – vor allem von den Streitkräften.

Der von Kritikern als „letzter Diktator Europas“ beschimpfte Lukaschenko schwor seinen Eid auf die Verfassung in belarussischer Sprache – sonst spricht er nur Russisch – und ließ sich von der Wahlleiterin die Amtsurkunde aushändigen. „Wir haben nicht nur einen Präsidenten des Landes gewählt. Wir haben unsere Werte verteidigt, unser friedliches Leben, die Souveränität und die Unabhängigkeit“, sagte er.

2020 werde in die Geschichte als „sehr emotionales Jahr“ eingehen. Die Versuche, das Land zu vernichten, seien gescheitert. „Wir sind im Kreis der Wenigen – wir sind vielleicht sogar die Einzigen –, wo die „farbige Revolution“ keinen Erfolg hatte“, sagte er. Es habe einen „teuflischen Druck“ von außen gegeben.

Hunderttausende hatten nach der umstrittenen Wahl vom 9. August gegen Lukaschenko protestiert und seinen Rücktritt gefordert. Auch am Tag der Amtseinführung protestierten Menschen in Minsk – es gab erneut Festnahmen. Zum Teil gingen die Beamten brutal vor, auch Wasserwerfer und Tränengas kamen zum Einsatz.

„Ein Mensch, der 80,1 Prozent der Stimmen erhalten haben will, versteckt sich nicht vor seinem Volk und erledigt seine Amtseinführung im Geheimen“, sagte der Politologe Waleri Karbelewitsch in Minsk. Diese Geheimoperation werde dazu führen, dass sich die schwere politische Krise im Land fortsetze und vertiefe. „Auch die Spaltung in der Gesellschaft wird größer, denn die Mehrheit der Menschen in Belarus erkennt diese Wahl nicht an.“

Lukaschenko habe mit dem extra nicht angekündigten Termin der Amtseinführung gezeigt, dass er sehr wohl verstehe, dass ihm der Rückhalt fehle in der Gesellschaft, meinte der Experte. „Der Machtapparat hatte Angst, dass mit einer Bekanntgabe der Amtseinführung Massenproteste auf den Straßen losgetreten werden.“ Von einer „Schande“ und einer Aktion wie in einem Verbrecherstaat sprach der frühere Kulturminister Pawel Latuschko, der in der Opposition ist und das Land verlassen hat.

Auch der Kreml teilte mit, nichts gewusst zu haben von dem Termin. Es handele sich um das souveräne Recht eines unabhängigen Staates, hieß es nur. Wladimir Putin hatte Lukaschenko zum Sieg gratuliert und ihm Unterstützung in der Krise zugesichert – mit einem neuen Kredit, notfalls auch mit Truppen.

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