Berlin – Bisher geheime Protokolle von Treffen mit Vertretern des Maut-Konsortiums Autoticket bringen Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) in Bedrängnis. Laut Recherchen des „Spiegel“ steht der Verdacht im Raum, dass er den Bundestag belogen hat. Der Vorwurf: Das Maut-Betreiberkonsortium Autoticket (bestehend aus der österreichischen Kapsch TrafficCom und dem Münchner Ticketverkäufer CTS Eventim) soll vorgeschlagen haben, „mit einer Vertragsunterzeichnung bis zur Entscheidung des EuGH zu warten“. Scheuer soll dies laut dem Protokoll des Autoticket-Geschäftsführers über ein Treffen vom 29. November 2018 abgelehnt haben, da die Maut „noch 2020 eingeführt werden solle“.
Der Verfasser des Protokolls war nicht persönlich bei dem Treffen anwesend, hat aber laut „Spiegel“ notiert, was seine Chefs ihm berichtet haben. Scheuer hatte in der Fragestunde des Bundestags mehrfach abgestritten, dass Eventim-Chef Klaus-Peter Schulenburg angeboten habe, mit der Vertragsunterzeichnung bis nach dem Maut-Urteil zu warten: Der Zeitpunkt des Abschlusses sei „überhaupt kein Thema gewesen“.
Weil die Verträge frühzeitig unterzeichnet wurden und die Maut platzte, stehen nun Schadenersatzforderungen von rund einer halben Milliarde Euro im Raum. Schon jetzt hat die Sache den Bund 79,3 Millionen Euro gekostet, wie aus einer Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage der Grünen hervorgeht.
Aber warum wollte Scheuer vorschnell unterzeichnen? Laut einem Insider wollte der Minister, dass die Maut schon 2020 und nicht erst im Jahr der Bundestagswahl 2021 eingeführt wird. Er sorgte sich offenbar, dass Pannen dem CSU-Wahlergebnis schaden.
Wenn sich bei Scheuers Vernehmung vor dem Maut-Untersuchungsausschuss am Donnerstag der Lügen-Vorwurf bestätigen sollte, wäre sein Rücktritt kaum mehr zu vermeiden. Denn der Koalitionspartner SPD hat deutlich gemacht, dass dann eine rote Linie überschritten wäre. Aus der CSU kommt Solidarität. Bei U-Ausschüssen „erlebt man das immer wieder, dass andere Parteien versuchen, mit x-facher Wiederholung bereits bekannter Geschichten eine neue Aufregung zu erreichen“, sagte Landesgruppenchef Alexander Dobrindt unserer Zeitung. Sachliche Auseinandersetzung gerate so leider in den Hintergrund.
Die Geheimprotokolle enthalten ein weiteres für Scheuer peinliches Detail: Er soll die Maut-Geschäftsführer aufgefordert haben, öffentlich seine Sichtweise zu unterstützen, wonach der Vertragsschluss vor dem EuGH-Urteil nötig gewesen sei. Im Gegenzug würde er dann den zweiten Kündigungsgrund (also der Vorwurf von angeblichen Mängeln bei den Betreibern) zurückziehen. KLAUS RIMPEL