Kandidatin mit wenig Angriffsfläche

von Redaktion

VON FRIEDEMANN DIEDERICHS

Washington – Justizexperten aus beiden politischen Lagern geben ihr exzellente fachliche Noten. Und sie ist das Musterbeispiel für eine Frau, die Familie und Karriere höchst erfolgreich austariert hat. Amy Coney Barrett hat sieben Kinder – davon zwei Adoptivkinder aus Haiti mit schwarzer Hautfarbe, sowie einen Sohn mit Down-Syndrom. All diese Fakten werfen eine Kernfrage auf: Wie wollen die US-Demokraten die am Samstag von Donald Trump nominierte Kandidatin für die Nachfolge der verstorbenen Ruth Bader Ginsburg am Supreme Court erfolgreich attackieren?

Mindestens vier der 53 Republikaner im Senat müssten „umfallen“, soll eine Bestätigung der erst 48-jährigen Barrett auf Lebenszeit – und damit ein Rechtsruck des neunköpfigen Gerichtshofs – in den kommenden Wochen noch verhindert werden. Selbst führende Demokraten räumen ein, dass die Chancen nun minimal sind, die Berufung der Ginsburg-Nachfolgerin zu verhindern, die bei den religiösen Rechten Heldenstatus genießt und die am Samstag im Rosengarten versicherte, sie werde sich bei ihren Urteilen stets nur vom Gesetz und nicht von ihrem Glauben oder persönlichen Überzeugungen leiten lassen.

Barrett wehrt sich also gegen das bisher von anderen Richtern gern praktizierte Prinzip, die Verfassung neu zu interpretieren. Vor drei Jahren wurde Barrett, bis dahin Jura-Professorin an der privaten Universität Notre Dame, bereits von Trump für das Bundes-Berufungsgericht in Chicago nominiert und dann sogar mit Stimmen der Demokraten bestätigt.

Nun hat sich die Opposition mit ihrem Widerstand gegen Barrett für den Ginsburg-Sitz in eine Ecke manövriert. Denn ihre noch verbleibenden Argumente stehen auf recht dünnem Eis. Da ist die Forderung, der Präsident habe kein Recht, die Neubestellung der höchsten Richterin zum jetzigen Zeitpunkt vorzunehmen. Er solle den Wahlausgang abwarten, damit die Bürger über diese so wichtige Frage mitbestimmen können. Doch die Verfassung gibt dem US-Präsidenten nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, den Supreme Court bei Todesfällen neu zu besetzen.

Die verstorbene Ruth Bader Ginsburg soll zwar auf dem Sterbebett gewünscht haben, dass erst ein neugewählter Präsident ihren Sitz besetzen soll. Doch Republikaner verweisen darauf, dass frühere Richter grundsätzlich nicht auf Nachfolgefragen Einfluss nehmen können. Und Ginsburg selbst hatte früher einmal mit Blick auf Neubesetzungen des Gerichts formuliert: Der Präsident höre nicht plötzlich auf, in seiner Amtszeit Präsident zu sein.

Bei Wahlkundgebungen sieht sich Trump zudem mit massiven Forderungen der Basis konfrontiert, Barrett schnell bestätigen zu lassen. „Fill the seat“ – besetzt die Stelle, lautet der neue Schlachtruf der Rechten in den USA. Republikaner erhoffen sich vor allem Vorteile, wenn es nach der Wahl am 3. November Einsprüche geben sollte, die dann vor dem Supreme Court enden.

Das zweite Hauptargument der Demokraten lautet: Barrett sei als strenge rechte Katholikin für das Gericht unzumutbar, weil sie Abtreibungen einschränken könnte. Doch die US-Verfassung schützt ausdrücklich die Religionszugehörigkeit bei Fragen der Berufsausübung und verbietet eine Diskriminierung. Außerdem steht noch lange nicht fest, dass das als „Roe gegen Wade“ bekannte, legendäre Grundsatzurteil des Supreme Court zum Abtreibungsrecht noch einmal in Frage gestellt wird.

Am höchsten Gerichtshof der USA gilt es bisher als Tradition, wegweisende Urteile aus der Vergangenheit nicht anzutasten und damit eine Kontinuität der Rechtsprechung zu garantieren. Das gilt übrigens auch für das im zweiten Verfassungszusatz festgeschriebene Grundrecht auf Waffenbesitz, das Barrett zum Verdruss vieler Demokraten unterstützt. Für die im Oktober anstehende Senatsanhörung wird jedenfalls von Experten eine „Schlammschlacht“ erwartet, obwohl das Privatleben der Richterin bisher keinerlei Angriffspunkte geboten hat.

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