Hauptstadt der Hotspots

von Redaktion

VON SEBASTIAN HORSCH UND CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München/Berlin – Für Robert Habeck gibt es keine Ausnahme. Wenn der Grünen-Bundesvorsitzende von Berlin in seine Heimat Schleswig-Holstein reisen will, muss er dort künftig bis zu 14 Tage in Quarantäne – oder zwei negative Corona-Tests innerhalb von fünf Tagen vorweisen. „Er ist weder Abgeordneter, noch Mitglied der Landesregierung“, stellt ein Sprecher des Gesundheitsministeriums in Kiel klar. Und somit gilt Habeck wie viele Berlin-Pendler derzeit in seiner Heimat als potenzielle Gefahr.

Der Hintergrund: Weil in Teilen der Hauptstadt die Zahl der Neuinfektionen innerhalb einer Woche über 50 je 100 000 Einwohner liegt, hat Schleswig-Holstein die Berliner Bezirke Mitte, Neukölln, Tempelhof-Schöneberg, Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg als Risikogebiete im Inland ausgewiesen. Auch Rheinland-Pfalz wertet die Bezirke (anders als derzeit Bayern) separat. Für sie gelten dort nun die selben Regeln wie für Hotspots im Ausland, Brüssel oder Madrid etwa. Grundlage sind die Daten des Robert-Koch-Instituts. Die Behörde bekräftigte am Nachmittag in ihrem Lagebericht knapp, Berlins Inzidenz liege „sehr deutlich über dem Bundesschnitt“. Kein Land steht schlechter da, gestern mit 301 neuen Fällen, dem dritthöchsten Tageswert überhaupt. Ursache sei „ein diffuses Geschehen, zum Teil getragen von jungen, international Reisenden und Feiernden, die sich unterwegs und auch auf Partys anstecken“ und diese Infektionen in ihren Haushalten verbreiten.

„Diffus“ ist ein für die Gesundheitsämter unangenehmes Wort. Es heißt, dass die Infektionsketten kaum nachvollziehbar sind. Im NRW-Ort Hamm zum Beispiel ist die Inzidenz höher, aber nicht so diffus – da gehen laut RKI 200 Infektionen auf eine Großhochzeit zurück. In Berlin ist es wohl die Partyszene.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ruft das Land Berlin nun deutlich auf, die Corona-Regeln besser durchzusetzen. Bisher wird in der rot-rot-grünen Stadtpolitik kontrovers beraten, ob es wirklich mehr Polizeipräsenz brauche oder ein nächtliches Alkoholverbot. Auch Unterstützung der Bundeswehr für die Gesundheitsämter lehnen einzelne Bezirke – Kreuzberg – ab. Dafür wurde stadtweit eine Maskenpflicht in Bürogebäuden erlassen.

„Es liegt nicht an zu wenig Regeln. Es liegt eher an der Frage, wo werden welche Regeln durchgesetzt“, sagte Spahn gestern. „Und da geht zumindest in manchen Bereichen dieser schönen Hauptstadt noch mehr.“ Er rügt, dass große Partys möglich seien, wie er sie am Wochenende wieder auf Bildern gesehen habe. Und dass es Restaurants gebe, wo man mit Maske angesehen werde, als wäre man „vom Mond“.

Da liegt wohl auch ein Unterschied zu Bayern. Hier ist die Masken-Disziplin bisher hoch. Die seit September wieder anlaufende Bar-Szene und heikle Großveranstaltungen wie die Münchner Wirtshaus-Wiesn schlagen sich in den Zahlen bisher nicht nieder. Der Freistaat hatte nach der Rückreisewelle wochenlang Platz 1 bei den Neuinfektionen, jetzt nicht mehr. „Dass Berlin mehr Infektionen hat als ganz Bayern, sind sehr deutliche Tendenzen“, sagt Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Er bittet gerade Jüngere um Disziplin: „Es geht nicht darum, keinen Spaß zu gönnen.“

Was also tun mit der infektiösen Hauptstadt? Zu neuen Corona-Regeln oder Kontrollen zwingen können weder Spahn und der Bund noch Söder als scheidender Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz die Berliner. Das ist Landes-Kompetenz und soll es bleiben. Allerdings könnten die in- und ausländischen Reisebeschränkungen für Berliner noch zunehmen. Spahn lehnt zwar eine Risikogebiet-Einstufung auf Ebene der Stadtbezirke ab und fordert „einen auf Gesamt-Berlin bezogenen Ansatz“. Allerdings liegt Berlin auch da schon mit fast 38 nahe am Inzidenz-Alarmwert von 50.

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