Bad Reichenhall – Auf dem Europaplatz mit dem grau-tristen Zollamt herrscht Aufregung. Die Kameras stehen bereit, gut ein Dutzend sind es. Das Areal direkt an der viel befahrenen A8 bei Bad Reichenhall ist Schauplatz eines Treffens politischer Akteure, die sich nicht aller Tage begegnen. Dennoch verbindet sie die Corona-Zeit auf spezielle Weise. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz galt mit seinen Entscheidungen anfangs als Vorreiter in der Krise. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zog dann oft nach. Im Zuge der Lockerungen von Kurz endete der Gleichklang, ein Ringen um Touristen setzte außerdem ein. Jetzt treffen sich beide wieder – und bemühen sich um Gemeinsamkeiten.
„Die Grenzen müssen offen bleiben“, sagt Söder bei seinem 45 Minuten langen Vier-Augen-Gespräch mit Kurz am Zollamt Walserberg. „Eine Schließung der Grenzen wäre eine Ultima Ratio, die jetzt keiner will.“ Ziel sei es, die grenzübergreifende Zusammenarbeit zu intensivieren. Auch zwischen den beiden Politikern: Oft hätten sie telefoniert und SMS geschrieben, sagt Söder. „Wir erachten einen persönlichen Austausch aber als notwendig.“
Beide verbinden akute Sorgen mit Blick auf die steigenden Zahlen. Die Zahl der Infizierten stehe vor einer „exponentiellen Entwicklung“, die ihm „große Sorge“ bereite, betont Söder mehrfach. „Wir müssen uns noch intensiver befassen, um weitere Einschränkungen vermeiden zu können.“ Weder wolle er ein weiteres Mal die Schulen schließen, noch die Wirtschaft durch einen Lockdown gefährden.
Für Kurz hat „die zweite Welle bereits begonnen“ – neben dem gesundheitlichen Risiko eine hohe wirtschaftliche Gefahr. Im Vorfeld hatte es große Befürchtungen gegeben, auf deutscher Seite denke man wieder an Grenzschließungen. Das hätte weitreichende Konsequenzen für das kleine Nachbarland und wäre ein herber Rückschlag für den anstehenden österreichischen Wintertourismus, der von den deutschen Besuchern lebt. „Rund 15 Prozent unserer Wirtschaft sind Tourismus, Sport und Freizeitwirtschaft, und für uns ist das daher ganz essenziell“, sagt Kurz. Reisewarnungen seien „ein sehr großes Problem“.
Er warnt auch vor schweren Folgen für die eng miteinander verbundene deutsch-österreichische Wirtschaft. Im Vorfeld schon hatte Deutschland Wien und große Teile Vorarlbergs sowie Tirols zu Risikogebieten erklärt. Kurz fordert nun eine „stärkere Differenzierung“ und gleichzeitig eine deutlich regionalere Einstufung von Risikogebieten. „Denn in vielen Tourismusregionen gibt es gar keine Corona-Fälle.“
Söder zeigt dafür Verständnis. Vollkommen realistisch scheint für ihn Kurz’ Wunsch aber nicht. Bayern will den eingeschlagenen Kurs fortsetzen und weiter auch für „Urlaub dahoam“ werben. Mit Blick auf die anstehende Skisaison sagt Söder zwar: „Österreich ist eine gute Destination.“ Er könne allerdings nicht abschätzen, wie sich das Ganze im Dezember entwickeln werde. Beide Länder arbeiteten hart daran, die Zahlen so gering wie möglich zu halten.
Söder warnt vor zu großer Sorglosigkeit in der Bevölkerung. Die Vernunft der vergangenen Monate sei bei manchem Bürger gewichen. Kurz sagt: „Wo man Spaß hat und sich trifft, ist die Gefahr der Ansteckung am größten.“ Der tatsächliche Durchbruch sei, wenn eine Impfung am Markt sei. „Frühestens im Sommer kommenden Jahres werden wir normal leben können“, prognostiziert Kurz. KILIAN PFEIFFER