Der (fast) unsichtbare Vierte

von Redaktion

VON HAGEN STRAUSS

Berlin – Jens Spahn ist Mitte Mai 40 Jahre alt geworden. Wegen Corona konnte auch der Gesundheitsminister nicht richtig feiern, das will er nächstes Jahr nachholen. Die einen finden, mit 40 habe Spahn noch viel Zeit, um auf der politischen Karriereleiter weiter nach oben zu klettern. Andere verweisen auf Sebastian Kurz. Der sei erst 34 und schon Bundeskanzler. Um Spahn ranken sich derzeit viele Spekulationen in Berlin.

Am 4. Dezember soll der neue CDU-Chef in Stuttgart gewählt werden. Spahn steht bislang für dieses Amt nicht zur Wahl. Er tritt zwar im Duo mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet gegen Friedrich Merz und Norbert Röttgen an, will aber nur Laschets Vize werden. Ob der Parteitag überhaupt in Stuttgart stattfinden kann, wo doch die baden-württembergische Landeshauptstadt inzwischen Corona-Hotspot ist, bleibt unklar. Im Konrad-Adenauer-Haus der CDU plant man nach Informationen unserer Zeitung mit Alternativen. Sollte wegen Corona die Durchführung nicht möglich sein, könnte der Konvent mit 1001 Delegierten nach Ostdeutschland verlegt werden, genauer: nach Dresden oder Leipzig. Endgültig will der Bundesvorstand am 26. Oktober entscheiden.

Im Kandidatenkampf hat Spahn eine Sonderrolle: Er mischt nur indirekt mit. Und das macht er reichlich geschickt, sodass der Gesundheitsminister in den Umfragen mittlerweile zu den beliebtesten Politikern gehört: Zuletzt rangierte er im „Politbarometer“ zusammen mit Markus Söder auf Rang zwei hinter Angela Merkel. Bei seinen vielen Auftritten zur Corona-Pandemie hat der Münsterländer eine besondere Strategie verinnerlicht: Er mahnt, ist besorgt und zeigt Verständnis, aber die schlechten Nachrichten überlässt er anderen. So zuletzt bei seiner Pressekonferenz mit dem Präsidenten der Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler. Während Spahn sich weigerte, über Zahlen für einen möglichen zweiten Lockdown zu reden, wohl wissend, welche Schlagzeile daraus entstehen würde, entwarf Wieler ein düsteres Bild hinsichtlich möglicher Neuinfektionen.

Spahn wird in der Union attestiert, einen guten Krisen-Job zu machen. Auch wenn manche Kabinettskollegen neuerdings Überheblichkeit bei ihm festgestellt haben wollen. Parallel zur steigenden Beliebtheit Spahns wachsen die Zweifel am Kandidatentrio um den CDU-Vorsitz. Laschet hat in der Krise nicht immer ein sicheres Händchen bewiesen. Für viele in der Union steht er für ein „Weiter so“. Bei Friedrich Merz hat sich durch seine unglücklichen Äußerungen über Homosexuelle und Kurzarbeiter der Eindruck verfestigt, ein Mann von gestern zu sein. Und Norbert Röttgen gilt ein kluger Denker, hat aber wenige Freunde.

Also doch Spahn? Schon seit geraumer Zeit hält sich hartnäckig in Berlin das Gerücht eines Rollentausches – Laschet tritt zur Seite, und Spahn kandidiert für den Vorsitz. Der Gesundheitsminister hat das zwar immer dementiert, doch die Debatte erhält durch junge Bundestagsabgeordnete neue Nahrung. Einer von ihnen ist der Mannheimer Nikolas Löbel. Er sagt: „Wir brauchen als Union einen Mix aus Erfahrungen und Zukunftskompetenz. Dafür steht Jens Spahn.“ 2018, so Löbel, sei der Kampf um den Bundesvorsitz als belebend wahrgenommen worden. Doch jetzt wünschten sich die Menschen Geschlossenheit – „und deshalb hoffe ich noch immer auf eine einvernehmliche Lösung“.

Dass es dazu kommen wird, ist nach jetzigem Stand unwahrscheinlich. Es sei denn, es gibt noch eine Pro-Spahn-Bewegung unter führenden Christdemokraten. Die ist bisher aber nur vereinzelt da und im Hintergrund zu vernehmen. Auch, weil keiner genau weiß, wie ein Rollentausch gesichtswahrend für Laschet vollzogen werden könnte.

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