Johnson bereitet harten Brexit vor

von Redaktion

VON V. SCHMITT-ROSCHMANN, L. SCHWEDES UND S. KUSIDLO

Brüssel/London – Boris Johnson stimmt sein Land auf einen harten Bruch ohne Vertrag mit der Europäischen Union am 1. Januar ein. Die EU habe gut zehn Wochen vor dem Ende der Brexit-Übergangsphase offenkundig kein Interesse an einem von Großbritannien gewünschten Freihandelsabkommen wie mit Kanada, sagte der britische Premierminister in London. Dementsprechend erwarte man nun eine Beziehung wie mit Australien – also ohne Vertrag, polterte der Regierungschef los.

Es war ein Auftritt mit großer Geste nach tagelangem Hin und Her in der Schlussphase sehr komplizierter und sehr langwieriger Verhandlungen: Wenn ihr nicht nachgebt, dann gehen wir eben, lautete die Botschaft des britischen Premiers. Zuvor hatte Johnson bereits ein Ultimatum für eine Einigung bis 15. Oktober gestellt, das aber zunächst sang- und klanglos abgelaufen war.

Kurios: Brüssel hatte die Frist ignoriert, genauso wie Johnsons Erklärung am Freitag. Wir verhandeln weiter, sagten ungerührt nacheinander EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, Ratschef Charles Michel und auch Kanzlerin Angela Merkel zum Abschluss des EU-Gipfels. Denn bei näherem Hinsehen war Johnsons kurzer Fernsehauftritt alles andere als eindeutig. Er ließ sich eine Hintertür offen, weiter mit der EU über einen Handelspakt zu sprechen. Das sei möglich, wenn die EU umsteuere, ließ Johnson erkennen: „Kommt hierher, kommt zu uns – wenn es fundamentale Änderungen an eurer Position gibt.“ Ein Regierungssprecher schob dann noch die Klarstellung nach: „Die Handelsgespräche sind vorbei.“ Die EU habe sie ja beendet.

EU-Unterhändler Michel Barnier sollte schon nächste Woche nach London reisen und die Gespräche „intensivieren“, wie von der Leyen flugs auf Twitter schrieb. Offenbar wurde die Reise aber später kurzfristig abgesagt. Ratschef Michel stellte zudem klar, dass die EU ihre gerade beim Gipfel abgestimmte Linie nicht über Bord werfen werde.

Trotzdem: „Die Verhandlungen gehen weiter, völlig klar“, sagt Guntram Wolff vom Brüsseler Thinktank Bruegel. „Jetzt sind wir in einer Verhandlungsphase, wo beide Seiten sehr hoch pokern.“ In Großbritannien sieht das Brexit-Expertin Georgina Wright von der Denkfabrik Institute for Government ähnlich. „Das sind wirklich keine Neuigkeiten“, sagt Wright zu Johnsons wortgewaltigem Auftritt. „Die nächste Woche wird entscheidend.“ Sowohl in Großbritannien als auch in der EU wird bei einem harten Bruch mit großen Schäden für die Wirtschaft gerechnet – wegen Zöllen und anderen Handelshürden.

Der anvisierte Handelsvertrag soll dies eigentlich verhindern. Großbritannien hatte die Staatengemeinschaft Ende Januar verlassen, ist aber während einer Übergangszeit bis zum Jahresende noch Mitglied im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Erst danach kommt der wirtschaftliche Bruch. Die Verhandlungen hängen aber seit Monaten an Grundsatzfragen fest. Hauptstreitpunkte waren von Anfang an der Zugang von EU-Fischern zu britischen Gewässern sowie die Forderung der Staatengemeinschaft nach gleichen Wettbewerbsbedingungen für die Wirtschaft, also gleiche Umwelt-, Sozial- und Subventionsstandards. Im Gegenzug soll Großbritannien Waren ohne Zoll und Mengenbeschränkung in den EU-Binnenmarkt liefern können. Dritter wichtiger Punkt für die EU sind Regeln zur Schlichtung für den Fall, dass eine Seite gegen das Abkommen verstößt.

In den drei Punkten verlangte der EU-Gipfel am Donnerstag Zugeständnisse von Großbritannien – was die britische Regierung „enttäuschend“ nannte. Johnson richtete nicht zum ersten Mal die bittere Klage an Brüssel: „Sie wollen weiter die Möglichkeit, unsere Freiheit zur Gesetzgebung zu kontrollieren, unsere Fischerei, in einer Art und Weise, die völlig inakzeptabel für ein unabhängiges Land ist.“ Merkel deutete allerdings an, dass längst Auswege aus der Sackgasse geprüft werden.

Artikel 2 von 11