Berlin – Werden gesetzlich Krankenversicherte wegen der Corona-Krise schon bald deutlich stärker zur Kasse gebeten? „Zu erwarten sind knackige Beitragserhöhungen im nächsten Jahr“, warnte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) gestern in einem Interview. Dabei könnte die Lage erst nach 2021 richtig dramatisch werden.
Noch sind die Krankenkassen nämlich finanziell ganz gut gepolstert. Im ersten Halbjahr dieses Jahres erzielten sie sogar einen Überschuss in Höhe von 1,3 Milliarden Euro. Das hatte auch damit zu tun, dass in den Kliniken schon länger geplante Operationen wegen Corona abgesagt wurden. Nun hat sich die Finanzlage zugespitzt. Darauf hatte die Chefin des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), Doris Pfeiffer, bereits vor ein paar Tagen hingewiesen. „Der gesetzlich verpflichtende Abbau von Finanzreserven bei den Krankenkassen, weitere finanzielle Belastungen durch die Corona-Maßnahmen und die ohnehin starke Ausgabendynamik – all das führt dazu, dass die Zusatzbeitragssätze im nächsten Jahr wohl deutlich angehoben werden müssen“, erklärte Pfeiffer.
Wie hoch genau, ist zwischen Kassen und Politik jedoch umstritten. Davon zeugte die turnusmäßige Sitzung des Schätzkreises letzte Woche. Dort sollten beide Seiten eigentlich zu einem gemeinsamen Standpunkt über die zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben der Kassen kommen. Aber das gelang nicht. Gegenwärtig liegt der Kassenbeitrag bei insgesamt 15,7 Prozent vom Bruttolohn. Darin enthalten ist ein Zusatzbeitrag von 1,1 Prozentpunkten, den die gut 100 gesetzlichen Kassen im Schnitt erheben. Nach den Erwartungen ihres Spitzenverbandes muss dieser Zusatzbeitrag im kommenden Jahr wenigstens auf 1,4 Prozentpunkte steigen. Nach Schätzung des Bundesgesundheitsministeriums ist dagegen nur ein Zuwachs auf 1,3 Prozentpunkte nötig.
Für die Krankenversicherten käme es schon 2021 aber noch viel dicker, hätte Ressortchef Jens Spahn nicht bereits im September gesetzliche Maßnahmen zur Dämpfung des Beitragsanstiegs auf den Weg gebracht. Vor allem wegen der Kosten zur Bewältigung der Pandemie erwartet Spahn im kommenden Jahr eine Finanzlücke von etwa 16,6 Milliarden Euro bei den gesetzlichen Kassen. Die Anhebung des Zusatzbeitrags auf 1,3 Prozent bringt nur etwa gut drei Milliarden Euro. Um die verbleibende Lücke zu schließen, sollen zusätzlich fünf Milliarden Euro aus Steuermitteln fließen und acht Milliarden Euro aus den Reserven der Kassen abgezweigt werden.
Genau daran entzündet sich jedoch Kritik. „Es ist nicht nachhaltig, wenn die Kassen einen Teil ihrer Rücklagen für Kosten aufbrauchen müssen, die dauerhaft oder zumindest auf längere Zeit anfallen“, sagte GKV-Sprecher Florian Lanz unserer Redaktion. Als Beispiele nannte er die „noch unabsehbaren Ausgaben“ für Anti-Corona-Impfungen und wieder gestiegene Arzthonorare. Auch der niedersächsische Regierungschef Weil ließ an Spahns Finanzierungsplänen kein gutes Haar: Besonders Kassen, die gut gewirtschaftet hätten, würden quasi bestraft. Der SPD-Politiker kündigte eine Bundesratsinitiative an, um das zu verhindern. „Sind die Rücklagen Ende nächsten Jahres verbraucht, ergibt sich dann ein doppelt so großes Finanzierungsproblem“, erklärte GKV-Sprecher Lanz. In Kassenkreisen kursieren schon Szenarien, dass sich der Zusatzbeitrag dann mindestens verdoppeln würde. STEFAN VETTER