Autopartei oder Ökopartei?

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER

München – Gestern schlug das schlechte Gewissen der Grünen zurück, mitten in Berlin. Am Vormittag versammelte sich eine Gruppe junger Klimaaktivisten vor der Parteizentrale, einigen von ihnen gelang es sogar, auf einen Balkon zu klettern. Oben rollten sie dann ein großes Banner aus. Darauf war zu lesen: „Autopartei? Nein, danke.“

Die Grünen – eine Autopartei? Den Aktivisten von „Fridays for Future“, „Ende Gelände“ und der Grünen Jugend Berlin, die die Aktion unterstützte, ist es ernst damit. Grün gegen grün, Klimaaktivisten gegen Klimapartei. Was ist da los?

Vordergründig geht es um die Verlängerung der A 49, einer Autobahn in Hessen. Eigentlich geht es aber um viel mehr: um die Frage, wie grün die Grünen noch sind – und ob sie, einmal an der Macht, ihre Ideale verraten. Ein Jahr vor der Wahl steckt die Partei, die gerne regieren würde, in einem Dilemma zwischen Klimaretter-Anspruch und Realpolitik. Nirgendwo wird das derzeit klarer als in Hessen.

Für die A 49 soll ein intakter Wald dran glauben, der Dannenröder Forst. Die Sache ist politisch gewollt und juristisch wasserfest. Verantwortung trägt der Bund, den Bau umsetzen muss ausgerechnet die Landesregierung mit dem grünen Verkehrsminister Tarek Al-Wazir. Der hatte dem Projekt in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU zähneknirschend zugestimmt und sieht sich jetzt rechtlich gebunden. Er könne sich als Minister halt nicht aussuchen, welche Gesetze er umsetze, sagte er kürzlich.

Die Grünen-Spitze in Berlin sieht das zwar offiziell anders. Anfang Oktober forderte sie ein Moratorium für den Bau neuer Autobahnen; Parteichefin Annalena Baerbock nannte die A 49 im Speziellen „verkehrspolitisch, umweltpolitisch und klimapolitisch falsch“ und forderte einen Baustopp. In der Opposition ist Fordern aber die leichteste Übung. Daher schauen Kritiker auf Hessen und sehen: Regieren die Grünen mit, bauen sie auch Autobahnen.

Eigentlich galt Hessen als Erfolgsbeispiel für schwarz-grüne Bündnisse – und damit auch als Muster für den Bund. Jetzt ist die Sache zumindest komplizierter. Dabei ist die Situation nicht neu. Über die Frage des Bundeswehreinsatzes im Kosovo zum Beispiel rieb sich die Partei Ende der 90er-Jahre fast auf. „Die Grünen kennen das Dilemma“, sagt die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch. Ein Teil des Problems: „Sie müssen ein ganz unterschiedliches Klientel bedienen.“ Von linken Klima-Hardlinern bis zu bürgerlichen Umweltbewegten, die auch gerne Auto fahren.

Sichtbar wird die verzwickte Situation auch in Baden-Württemberg, wo der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann lieber S-Klasse als Fiat fährt und für Auto-Kaufprämien wirbt. Im Frühjahr ist Landtagswahl – erstmals wird auch die „Klimaliste“ antreten, deren Vertreter den etablierten Grünen vorwerfen, zu blass zu sein. Kretschmann sprach Anfang Oktober von einer „ernsten Angelegenheit“. Wegen der neuen Konkurrenz könnten wichtige Stimmen zur Regierungsbildung fehlen.

Es mögen einzelne Feuerchen sein, aber sie lodern an immer mehr Stellen. „Fridays for Future Frankfurt“ etwa twitterte zuletzt mehrmals: „Die Grünen sind keine ökologische Partei.“ Auch die bekannte Klimaaktivistin Luisa Neubauer, selbst eine Grüne, hadert mit ihrer Partei. Dort ist das Verständnis für Maximalforderungen groß, aber die Grünen kennen eben auch die parlamentarische Realität. „Man darf Kompromiss nicht mit Verrat übersetzen“, sagt Bayerns Fraktionschef Ludwig Hartmann. „Dann wird es gefährlich.“

An der A 49 sei nicht mehr zu rütteln, betont auch der Münchner Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek. „Beim Klimaschutz geht es darum, dass wir Kraft in die Bewegung kriegen, und nicht darum, zu spalten.“ Für Aktionen wie die gestrige in Berlin fehlt ihm deshalb jedes Verständnis. „Auch Klimaaktivisten müssen sich überlegen, wen sie sich als Gegner aussuchen. Ich kann aber nachvollziehen, wenn manche die Geduld verlieren.“

Grünen-Chef Robert Habeck versucht es mit Dialog. Kurz nach 10 Uhr kommt er vor die Parteizentrale. Der Erfolg: mäßig. Hessen zeige, „dass wir uns beim Klimaschutz nicht auf Parteien verlassen können“, schreibt „Ende Gelände“ hinterher. Was immer das heißt.

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