Paris/Brüssel/Stockholm – Unerwartet kam es nicht mehr, was Emmanuel Macron seinen Landsleuten gestern Abend zu sagen hatte. Schon am Nachmittag war aus gut informierten Kreisen durchgedrungen, Frankreichs Präsident werde zur besten Sendezeit im Fernsehen „unpopuläre“ Entscheidungen bekannt geben. Zwei Tage hatte er sein Kabinett versammelt, um einen Aktionsplan gegen die Corona-Pandemie zu erarbeiten. Das Ergebnis bezeichnete er als „brutales Bremsmanöver“.
Ab morgen gelten im ganzen Land wieder Ausgangsbeschränkungen. Macron wies darauf hin, dass diese Einschnitte weniger streng sind als im Frühjahr, als das öffentliche Leben weitgehend lahmgelegt war. Wie in Deutschland sollen auch Frankreichs Schulen geöffnet bleiben. Bars, Restaurants und „nicht unentbehrliche Geschäfte“ müssen dagegen schließen. Die im Frühjahr üblichen Ausgangsbescheinigungen für Bürger sollen wiederkommen. Die Maßnahmen sind zunächst bis zum 1. Dezember befristet. „Bleiben Sie so weit wie möglich zu Hause“, appellierte Macron an seine Landsleute, die Lage sei dramatisch: „Wir werden von der Beschleunigung der Epidemie überrollt.“
Für Frédérick Valletoux, Chef des nationalen Krankenhausverbandes, zeigt die Corona-Warnuhr schon fünf nach Zwölf. Die Zahl der Neuinfektionen steigt täglich um 30 000 bis 50 000 an, der wissenschaftliche Beirat der Regierung geht jedoch von einem noch viel dramatischeren Wert aus. Wahrscheinlich gebe es täglich 100 000 Menschen, die sich neu anstecken, viele davon blieben unerkannt, glaubt man. Setze sich der Trend fort, sagt Valletoux, wären die Folgen „verheerend“. Schon in zwei Wochen würden die Krankenhäuser an ihre Belastungsgrenze stoßen. Die Ausgangsbeschränkungen sind die letzte Hoffnung, das Schlimmste zu verhindern.
Um die Infektionsketten zu durchbrechen, setzen auch andere Länder auf verschärfte Ausgangsregelungen. So hat erstmals auch Tschechien eine Ausgangssperre zwischen 21 Uhr und 5 Uhr morgens eingeführt. Die Regierung in Prag begründete den Schritt damit, dass so private Feiern und Treffen verhindert oder zumindest erschwert werden sollen. Ausnahmen gelten unter anderem für das Gassigehen mit dem Hund in einem Umkreis von 500 Metern um den Wohnort. In Tschechien steckten sich der EU-Gesundheitsagentur ECDC zufolge binnen 14 Tagen 1379,8 Menschen je 100 000 Einwohner an. Das war nach Belgien der zweithöchste Wert in der EU.
Italiens Regierungschef
Giuseppe Conte warb angesichts massiver Proteste für mehr Vertrauen in die „präzise Strategie“ Roms. Die verschärften Einschränkungen für Lokale und Kultureinrichtungen seien unumgänglich. Zugleich versicherte der parteilose Jurist, dass seine Mitte-Links-Regierung Betrieben und Menschen schnell helfen werde. Das Kabinett hatte zuvor ein Nothilfe-Paket von über fünf Milliarden Euro beschlossen.
Nur ein Land in der EU setzt seinen Corona-Sonderweg fort: Schweden. Die Regierung in Stockholm verzeichnete anfangs zwar eine der höchsten Sterberaten in Europa, hielt aber ihre Politik der Empfehlungen statt Verbote durch. Nicht ohne Erfolg. Mehrere Umfragen ergaben, dass die Freiwilligkeit bei den Schweden ankommt: 80 Prozent der Bürger erklärten, ihr Verhalten geändert zu haben, etwa durch verstärkte Arbeit im Home Office oder weniger persönliche Kontakte. Allerdings verschärfte die Regierung ihre Empfehlungen gerade, weil die Infektionszahlen so hoch sind wie seit Juni nicht mehr.
Heute treffen sich die EU-Regierungschefs zu einem Corona-Videogipfel, um über eine mögliche Angleichung der Quarantäne-Regeln, Tests und Tracing Apps zu reden.