München/Berlin – Angela Merkel spricht erst ein paar Minuten, als der Bundestagspräsident für Ordnung sorgen muss. Das Land sei in einer „außergewöhnlich schwierigen Lage“, sagt Wolfgang Schäuble in scharfem Ton. Für andere Meinungen sei in der Aussprache Platz, jetzt gelte es, mit Anstand zuzuhören. Ein Abgeordneter hatte zuvor schon durch den Saal gezischt: „Jetzt haltet mal die Klappe und hört zu.“
Die Zwischenrufe, die die Kanzlerin zu Beginn ihrer Regierungserklärung immer wieder aus dem Tritt bringen, kommen, wie so oft, aus dem AfD-Block. Und doch ist die Sache an diesem Donnerstagmorgen so einfach nicht. Merkel muss die tags zuvor beschlossenen harten Corona-Maßnahmen erklären – und zwar genau jenem Parlament, das auch diesmal nicht mitreden durfte. Die Stimmung ist deshalb auch jenseits der AfD teils trübe bis aufgewühlt.
Wie schon am Vorabend versucht Merkel, das Ausmaß der Situation in klaren Worten zu umreißen. Sie spricht von einer historischen Krise und warnt vor der unkontrollierten Ausbreitung des Virus. „Ich verstehe die Frustration, ja die Verzweiflung sehr“, sagt sie mit Blick auf Kultur und Gastronomie, die ab Montag trotz aller Anstrengungen wieder dichtmachen müssen. Und doch sind die Maßnahmen in ihren Augen „geeignet, erforderlich und verhältnismäßig“. Es gebe kein anderes, milderes Mittel.
Bisweilen wirkt ihre Erklärung wie eine Beschwörung mit der bestimmten Aufforderung, jetzt mitzuziehen. Sie spürt wohl auch, dass der zweite Lockdown diesmal auf mehr Skepsis trifft als im Frühjahr. Draußen im Land – und drinnen im Parlament.
Tatsächlich hadern die Oppositionsfraktionen mit ihrer Rolle in der Krise. „Der Ort der Entscheidung muss das Parlament sein“, sagt FDP-Fraktionschef Christian Lindner. Wenn die Abgeordneten Beschlüsse nur nachträglich zur Kenntnis nehmen könnten, drohe eine deformierte Demokratie. Inhaltlich hält er die Schließungen für Aktionismus, weil auch Bereiche dichtmachen müssten, die nicht als Infektionstreiber aufgefallen seien. „Die Krisenpolitik dieser Regierung ist nicht alternativlos“, sagt Lindner und klagt über die fehlende Debatte.
Ähnliches kommt auch aus anderen Fraktionen. Bundesrat und Bundestag müssten zusammen entscheiden, sagt Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckhardt. Die tiefen Eingriffe gehörten „endlich auf solide gesetzgeberische Füße gestellt“. Der Linke Jan Korte spricht von einer „Verselbstständigung der Exekutive“. Selbst die mitregierende SPD erkennt Schwachstellen und kündigt Gespräche über Zustimmungsvorbehalte und Begründungspflichten für Verordnungen an. Durchregieren sei „keine Alternative zur mühsamen Konsensfindung“, betont Fraktionschef Rolf Mützenich, schränkt aber ein: „Die Zeit, in der wir eine maximale Flexibilität der Exekutive brauchen, ist noch nicht vorbei.“
Es ist Alexander Gauland, der den Bogen in den Augen vieler überspannt. Der AfD-Fraktionschef wirft der Regierung „Kriegspropaganda“ vor, spricht von einer „Corona-Diktatur“ und einem „Kriegskabinett“. Statt alles lahmzulegen, müssten die Alten besser geschützt werden. Letzteres ist gar nicht so weit entfernt von Lindners Position, auch wenn der seine Vorschläge (etwa Schnelltests für Kontaktpersonen Älterer) weit sachlicher formuliert.
Merkel, deren Auftritt im um Mitsprache ringenden Parlament etwas von einem Höflichkeitsbesuch hat, lässt sich nicht beirren. Einmal schwärmt sie gar vom Wert der kritischen Debatte, als sähe sie den Widerspruch nicht. Dann wird sie noch mal ernst: Man könne der Pandemie nur mit Zusammenhalt begegnen. „Der Winter wird schwer. Vier lange, schwere Monate. Aber er wird enden.“