Mehr Betten, mehr Geräte, aber nicht mehr Personal

von Redaktion

Intensivmediziner warnen im Angesicht der zweiten Welle vor einer drohenden Überlastung

Berlin – Auf den Intensivstationen ballt sich angesichts der rasant steigenden Corona-Infektionszahlen Wut, Frust und Traurigkeit. „Es ist jetzt schon nachweislich schlimmer als im Frühjahr“, sagt Uwe Janssens, Präsident der Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. „In 14 Tagen haben wir die schweren Krankheitsfälle und unsere großen Zentren kommen unter Maximalbelastung.“ Kliniken müssten sich deshalb bereits jetzt fragen, welche vereinbarten Operationen sie guten Gewissens verschieben könnten. Die Devise könne nur lauten: „Fahrt runter!“.

Die Zahl der registrierten Corona-Neuinfektionen in Deutschland hat mit 16 774 Fällen binnen eines Tages am Donnerstag erneut einen Höchstwert erreicht.

In Berlin, Bayern und Nordrhein-Westfalen seien einige Kliniken schon gut mit Covid-19-Patienten belegt, andere Erkrankte würden bereits verdrängt, sagte Stefan Kluge, Leiter der Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Die Lage sei „absolut besorgniserregend“. Von den Infizierten müssten fünf Prozent im Krankenhaus behandelt werden, zwei Prozent auf der Intensivstation, so Kluge.

Das Problem ist dabei nicht so sehr die Anzahl der Intensivbetten. „Wir haben mehr Betten und mehr Beatmungsgeräte als zu Beginn der Pandemie. Aber wir haben nicht eine müde Maus mehr beim Personal“, sagte Janssens. „Bis jetzt sind wir zurechtgekommen. Aber wir müssen die Pflegepersonal-Untergrenzen wieder aussetzen, wenn das so weitergeht.“ Seine Vereinigung führt ein Register, das die bundesweit freien Intensivbetten anzeigt. Damit soll auch eine Verlegung aus stark ausgelasteten Kliniken in Häuser mit Kapazitäten ermöglicht werden.

Generell gebe es jetzt mehr Infektionen unter Klinik-Mitarbeitern. „Wir haben im März und April kaum Infektionen gehabt, die jemand von draußen hereingetragen hat“, erläutert Janssens. „Jetzt haben wir in kürzester Zeit Mitarbeiter, die positiv sind. Sie sind sofort raus.“ Ebenso wie andere, die engen Kontakt zu positiv Getesteten gehabt hätten. Das Schichtsystem auf Intensivstationen könne damit schnell aus den Fugen geraten. Ein beatmeter Covid-19-Patient braucht allein bis zu fünf Schwestern oder Pfleger.

„Wir richten unseren Aufruf auch an alle Mitarbeiter im Krankenhaus: ,Leute, ihr seid systemrelevant. Auch, wenn ihr das Krankenhaus verlasst‘“, berichtet Janssens, Chefarzt am St.-Antonius-Hospital im nordrhein-westfälischen Eschweiler. Er sei nicht sauer über die zweite Welle an Infektionen, sondern eher traurig. „Der persönliche Spaß ist vielen wichtiger als die Gemeinschaft“, urteilt Janssens. „Ich sage gern: ,Kommt doch mal eine Stunde auf die Intensivstation und guckt euch einen Covid-19-Patienten an. Wie er da auf dem Bauch liegt und was die Schwestern da leisten müssen.‘“ U. VON LESZCYNSKI

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