„Die Polizei braucht einen konkreten Verdacht“

von Redaktion

Kontaktbeschränkungen in den eigenen vier Wänden: Wann gehen Kontrollen zu weit?

München – Die Corona-Regeln gelten auch in der eigenen Wohnung – jedenfalls in Bayern. Ab Montag dürfen sich auch im privaten Raum nur noch Menschen aus zwei Haushalten treffen, beschloss das bayerische Kabinett am Donnerstag. Dabei ist die „Unverletzlichkeit der Wohnung“ im Grundgesetz geschützt. Walther Michl, Verfassungsrechtsexperte an der LMU, erklärt, wie weit der Staat gehen darf.

Herr Michl, gehen die erneuten Kontaktbeschränkungen zu weit?

Das war schon im ersten Lockdown Thema. Der saarländische Verfassungsgerichtshof etwa hatte damals die Ausgangsbeschränkungen gekippt – weil Kontaktbeschränkungen im Vergleich das deutlich mildere Mittel sind. Wenn man sich die Zahlen jetzt anschaut, gibt es eigentlich keinen Grund, davon abzuweichen. Man muss sich ja immer fragen: Was wäre die Alternative?

Dürfen Polizisten zur Kontrolle in meine Wohnung?

Prinzipiell gilt: Sie müssen niemanden reinlassen, wenn es keinen Durchsuchungsbefehl gibt. Aber es gibt im Infektionsschutzgesetz eine Klausel, das ist der Paragraf 16, Absatz 2. Da steht sinngemäß: Behörden sind zur Überwachung der angeordneten Maßnahmen berechtigt – und dafür muss man sie bei konkretem Verdacht auch in die eigene Wohnung lassen.

Was wäre ein konkreter Verdacht?

Ein klassischer Fall wäre: Ein Nachbar hat sich bei der Polizei wegen der Lautstärke beschwert. Das würde aber nicht ausreichen, damit die Beamten einfach die Wohnung betreten dürfen – es müssen erst ein paar Fragen geklärt werden. Zum Beispiel: Warum ist die Polizei da, wie ist sie auf Sie aufmerksam geworden? Wenn sich beim Gespräch an der Tür rausstellt – zum Beispiel durch Stimmen –, dass da mehrere Leute zusammengekommen sind, darf die Polizei unter Umständen auch ohne Durchsuchungsbefehl rein. Und auch dann muss sie immer, bei jedem Eingriff in Grundrechte, die Verhältnismäßigkeit prüfen.

Wie wird das geprüft?

Man prüft grundsätzlich in drei Schritten, ob etwas verhältnismäßig ist: Eine Maßnahme muss geeignet, erforderlich und angemessen sein. Das ist wie eine Waage. Auf der Seite des Staats steht: Pandemie eindämmen. Und auf der anderen Seite stehen Ihre Grundrechte. Jetzt kann man sich die Frage stellen: Wenn nur ein paar Menschen zu einer kleinen Runde zusammenkommen – wiegt das mehr als das Recht auf die Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung? Zweifel sind da auf jeden Fall angebracht.

Wenn das schon zweifelhaft ist – wie sieht es dann bei Familien mit drei Kindern aus, von denen jedes Besuch von einem Freund bekommt?

So wie ich das verstanden habe, sind die Maßnahmen doch beschlossen worden, um Superspreader-Ereignisse zu vermeiden: Und wenn es nur darum geht, dass sich ein paar Kinder zum Spielen treffen, dann halte ich persönlich einen Eingriff in die Grundrechte für übertrieben.

Interview: Kathrin Braun

Artikel 1 von 11