München – Markus Söder kommt als einer der Ersten. Der Plenarsaal ist noch leer, als der Ministerpräsident an seinem Platz noch mal über die handschriftlichen Notizen seiner Regierungserklärung fliegt. Es ist die zweite binnen einer Woche. Nur dass sich seitdem die Situation zuspitzt – und es noch mehr zu erklären gibt: die bayerische Variante des bundesweiten „Lockdown light“.
Vor einer Woche habe die Inzidenzzahl noch 56 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner betragen, jetzt liegt sie schon bei 114, sagt Söder. „Es ist ernst.“ Intensivmediziner warnten vor Überforderung. Und er nennt die Todeszahl des Tages: 17 allein in Bayern, Tendenz steigend. Söder distanziert sich von Wortmeldungen, Sterben gehöre in Pandemiezeiten dazu. „Jedes Leben ist es wert, von uns gerettet zu werden.“ Beifall von allen außer von der AfD.
Es sind aufgeregte Zeiten. Söder hat mit seiner Rhetorik dazu beigetragen. Am Freitag versucht er, den Ton zu mäßigen, sagt, dass er nicht zur Bespitzelung der Nachbarn habe aufrufen wollen. Doch Aufregung gibt es natürlich trotzdem: Als der Ministerpräsident fertig ist, geht er zu seinem Platz. Fünf Meter sind das. Er vergisst die Maske, was kaum jemand bemerkt, bis Landtagspräsidentin Ilse Aigner ihn darauf hinweist. Erst jetzt erwacht auch die AfD – große Aufregung.
Die gibt es auch bei der Rede von Ingo Hahn (AfD), der Söders Corona-Politik mit persönlicher Karriereplanung erklärt. „Geht es Ihnen um die Königswürde oder die Kaiserwürde in Berlin?“ Während der Ministerpräsident den Katastrophenfall ausrufe, stehe die AfD für „Freiheit, Demokratie und Verfassungstreue“. Das bleibt nicht unwidersprochen: Volkmar Halbleib (SPD) zitiert aus Hahns Rede vom März, als er den Katastrophenfall als „wichtigen und richtigen Schritt“ bezeichnet hatte. Großer Beifall aus allen Fraktionen. Ebenso wie bei Ernst Weidenbusch (CSU), der von Hahn wissen will, für welche AfD er stehe: „Sind es die sechs, die dageblieben sind, oder sind es die zwölf, die beim Beginn Ihrer Rede fast fluchtartig ihre Maske aufgesetzt und den Saal verlassen haben?“ Es wird gelacht. Aber nicht nur: Etwas später hat FW-Fraktionschef Florian Streibl einen veritablen Wutanfall am Rednerpult. Was genau er in Richtung AfD brüllt, geht im Applaus unter. Söder trommelt mit der flachen Hand lautstark auf den Tisch.
Es wird im Parlament also über Corona gestritten – so wie es zuletzt immer lauter gefordert wurde. Auch Grüne, SPD und FDP üben lautstarke Kritik an Söders Kurs. Ludwig Hartmann (Grüne) gibt ihm sogar die „Schuld an der Situation, in der wir uns befinden“. Es sei das Versäumnis der Regierung, die Vertrauen mit nicht nachvollziehbaren Entscheidungen verspielt habe. Harte Worte. Den Lockdown halten die Grünen trotzdem für richtig.
Es ist ein großer Spagat, den die Oppositionsparteien – jenseits der AfD – da versuchen. Sie alle sitzen in diversen Landesregierungen, die den Kompromiss mit der Kanzlerin mittragen. Da können sie im Landtag schlecht Fundamentalopposition betreiben. Das Papier der Staatsregierung lehnen sie zwar ab, legen aber eigene vor, die oft nur in Details abweichen – etwas für politische Feinschmecker. Am deutlichsten distanziert sich die FDP. Als die CSU deren Fraktionschef Martin Hagen vorwirft, in Berlin für den Kompromiss zu stimmen und in Bayern dagegen zu sein, antwortet er: „Das Spiel haben Sie doch erfunden.“