Washington – Im Idealfall wachen die Amerikaner am Mittwoch auf und haben einen neu gewählten Präsidenten, der von allen akzeptiert wird. Erwartet werden aber langwierige Auszählungen und juristischer Streit. Das könnte Folgen bis hin zu einer ernsten Verfassungskrise haben. Hier einige Szenarien im Überblick:
Es gibt nicht sofort einen Sieger
Durch die Briefwahl wird ein Ergebnis in einigen Staaten erst nach Tagen erwartet. Doch US-Präsident Donald Trump fordert, es müsse in der Wahlnacht einen klaren Sieger geben. Er könnte sich also ohne klares Ergebnis zum Sieger erklären, um so die Legitimität eines später verkündeten Wahlsieges von Biden angreifbar zu machen.
Die Wahl wird vor Gericht entschieden
Klagen gegen Ergebnisse in umkämpften Bundesstaaten sind nicht unwahrscheinlich. Im Jahr 2000 war erst nach einem Monat mit Prozessen und Nachzählungen entschieden, dass Florida mit 537 Stimmen Vorsprung an George W. Bush gehen würde. Und erst mit den Wahlmännerstimmen aus Florida hatte er Al Gore geschlagen. Formal wäre so eine Verzögerung kein Problem. Trump führt die Geschäfte laut Verfassung weiter, bis der Wahlsieger am 20. Januar vereidigt wird. Ein langes Warten könnte den USA aber unruhige Wochen mit Protesten bescheren.
Trump gewinnt ohne Mehrheit der Stimmen
Hillary Clinton lag 2016 fast drei Millionen Stimmen vor Trump. Der hatte aber die Mehrheit der Wahlleute. Schon fünf Mal gewann ein Kandidat ohne Mehrheit der Direktstimmen. Das könnte diesmal politisch verhängnisvoll sein: Es könnte zu Protesten kommen, die auch das Wahlsystem infrage stellen.
Trump erkennt eine Schlappe nicht an
Für den Fall gibt es zwei Szenarien. Im ersten Fall kämpft und unterliegt Trump vor Gericht, räumt die Niederlage zwar auch dann nicht ein, verlässt aber am 20. Januar das Weiße Haus. Das zweite Szenario: Trump weigert sich auch nach Ausschöpfung des Rechtswegs abzutreten. Biden wird aber am 20. Januar vereidigt. Damit befänden sich die USA in einer Verfassungskrise, für die es keinen klaren Fahrplan gibt. Pessimistische Beobachter fürchten, dass es dann zu Ausschreitungen kommt, Trump die Nationalgarde einsetzt und das Kriegsrecht ausruft.
Es gibt ein Patt
Wenn beide Kandidaten exakt 269 Wahlmänner auf sich vereinen, muss das Repräsentantenhaus abstimmen, wer Präsident wird – allerdings nicht nach Sitzverteilung, sondern einem anderen, derzeit für die Republikaner vorteilhaften Schlüssel. Das gilt auch, wenn aus den Bundesstaaten keine einheitlichen Ergebnisse gemeldet werden. Das kann theoretisch passieren, wenn sich Gouverneure und Parlamente streiten. Scheitert eine Wahl auch im Repräsentantenhaus, wird dessen Oberhaupt Präsident. Das wäre die Demokratin Nancy Pelosi.
Könnten Hacker die Wahl entscheiden?
Laut US-Behörden versuchen unter anderem Russland und China, über Aktivitäten in sozialen Netzwerken, Einfluss auf die Abstimmung zu nehmen. Eine Sabotage des Wahlvorgangs selbst gilt als unwahrscheinlich. Die Sicherheit der Systeme wurde verbessert. Und der beste Schutz der Wahl dürfte sein, dass sie von Kommunen, Landkreisen und Bundesstaaten durchgeführt wird. Hacker müssten also tausende Ziele angreifen. JÜRGEN BÄTZ