Berlin – Tag Eins des zweiten Lockdowns. Angela Merkel kommt direkt aus dem Corona-Kabinett. Das hat zwar nichts Neues beschlossen, trotzdem stellt sich die Kanzlerin zum dritten Mal in diesem Jahr den Fragen der Hauptstadtjournalisten. Das ist ungewöhnlich. Der Saal ist voll, soweit die Abstandsregeln es erlauben. Es gibt viel zu erklären.
Im Kern geht es der Regierungschefin um das Einschwören der Bevölkerung. In den Krisenstäben weiß man: Noch so viele Verbote können die Ausbreitung des Virus nicht verhindern, wenn sich die Bürger nicht aktiv beteiligen. Also sagt die Kanzlerin: „Jeder und jede hat es in der Hand.“ Wenn es gelinge, die Zahl der Neuinfektionen von derzeit 128 wieder auf 50 je 100 000 Einwohner zu bringen, bekomme man wieder Kontrolle. Das sei das klare Ziel. Dann könne es auch einen erträglichen Dezember und ein Weihnachtsfest mit weniger Einschränkungen geben. „An große Silvesterpartys glaube ich aber nicht.“
Merkel wählt da eine andere Tonlage als ihr Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der am gleichen Tag mit der Spekulation zitiert wird, der zweite Lockdown müsse nicht der letzte sein. Oder als Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU), der betont, dass man nicht wisse, ob die Maßnahmen nach dem November fortgesetzt werden müssen. Merkel will erst einmal auf das Licht am Ende des Tunnels zeigen statt auf dessen Länge.
Es ist der dritte Auftritt Merkels innerhalb weniger Tage. Die Kanzlerin weiß um die massive Kritik am zweiten Lockdown und ist auch gekommen, um zu verteidigen, was sie letzten Dienstag zusammen mit den Ministerpräsidenten beschlossen hat. „Kein Mensch hat sich so etwas gewünscht“, sagt sie. Und auch: „Wir machen das doch nicht gerne.“
Restaurants und Gaststätten hätten viel in den Infektionsschutz investiert, bei ihnen seien keine Infektionsherde ausgemacht worden, wird der Kanzlerin mehrfach vorgehalten. Warum also müssen sie schließen? Merkel sagt erst einmal, dass sie Verständnis für den Unmut habe. Und tröstet, die Hygienekonzepte würden wieder wichtig werden, sobald man zu Lockerungen komme. In der Sache aber bleibt sie knallhart. Bei 75 Prozent der Infektionen wisse man den Ansteckungsort nicht. „So viele Partys gibt es gar nicht, wie es Infektionen gibt.“ Also müsse es generell darum gehen, die Zahl der Kontakte wieder stark zu reduzieren. Und da Wirtschaft, Geschäfte und Schulen weiterlaufen sollten, seien davon eben alle nicht lebensnotwendigen Bereiche betroffen. Das sei „letztlich eine politische Entscheidung gewesen“.
Normalerweise antwortet die Kanzlerin vor diesem Forum kurz und präzise. Diesmal kommt sie oft vom Hundertsten ins Tausendste. „Oh, jetzt habe ich mich in Rage geredet, wie war noch mal die Frage“, sagt sie einmal. Man merkt ihr Bemühen, mit den Journalisten auch die Öffentlichkeit zu überzeugen. Nur einmal ist sie ganz kurz angebunden. Nämlich bei der Frage, ob die Regierung den reduzierten Mehrwertsteuersatz verlängern wird und wann sie darüber entscheidet. Antwort: „Wir entscheiden darüber nicht, und sie läuft automatisch aus.“
Nicht alle haben zuletzt die Warnungen der Kanzlerin befolgt. Ende September hatte sie gesagt, wenn es so weitergehe, werde die Zahl der Neuinfektionen bis Weihnachten auf über 19 000 pro Tag steigen. Das wurde schon letzte Woche erreicht. Merkel schafft auch diesmal wieder eine Formulierung, die im Gedächtnis bleiben wird: „Das Virus bestraft Halbherzigkeit.“ WERNER KOLHOFF