Washington – Je dichter sich der Demokrat Joe Biden der magischen Zahl von 270 Wahlleuten nähert, umso zahlreicher schießen unter den Anhängern von Donald Trump die Verschwörungstheorien ins Kraut. Genährt werden sie teilweise auch von der Präsidenten-Familie. Wie am Mittwochabend, als Trump-Sohn Eric bei einer Pressekonferenz in Philadelphia ein kurzes Video präsentierte, das Wahlbetrug zeigen sollte. Zu sehen war, wie ein Bündel von Stimmzetteln in einer Tonne verbrannt wurden. Wenig später stellte sich heraus: Es waren Muster-Stimmzettel für eine Schulung, die niemals in Wählerhand geraten waren.
Solche Auftritte, Trumps Twitter-Attacken und die angedrohten Klagen gegen das Auszählungsverfahren befeuern die Angst unter seinen Fans, sie würden um den Sieg betrogen. Seine Warnung vor einem „großen Betrug an der Öffentlichkeit“ fällt auf fruchtbaren Boden. Im umkämpften Bundesstaat Arizona verbreitete sich am Mittwoch ein Gerücht wie ein Lauffeuer: Tausende von Stimmen für Trump seien disqualifiziert worden, weil das Kreuzchen mit einem im Wahllokal zur Verfügung gestellten Filzschreiber gemacht worden war. Ein „Skandal“ war’s eher nicht: Es war den Bürgern sogar empfohlen worden, diese Stifte zu nutzen. Arizonas Staatssekretärin Katie Hobbs erklärte, natürlich würden alle Zettel gezählt. Falls die Maschinen sie nicht lesen könnten, werde dies manuell erledigt. Dennoch fanden sich in der Nacht in Arizona dutzende von teilweise bewaffneten Trump-Unterstützern vor Wahllokalen und dem „State Capitol“ ein, um in Sprechchören zu fordern: „Zählt die Stimmen!“ Kurios dabei: Die Stimmenzählung lief ohnehin weiter, und Trump holte dabei sogar etwas auf.
Es waren teilweise chaotische Szenen, die an das Wahljahr 2000 und das Florida-Nachzähldrama erinnerten. Damals gab es beim Duell George W. Bush gegen Al Gore von der Partei organisierte Proteste der Konservativen vor den Wahllokalen.
Auch in Michigan, Nevada und Pennsylvania wurde nun wie in Arizona demonstriert. Eine der häufigsten Vorwürfe: Dass plötzlich – nachdem Trump weit vorn gelegen habe – vor allem in Pennsylvania, Michigan und Wisconsin „Blöcke“ von Stimmen für Biden „gefunden“ worden seien. In Wahrheit waren das ganz reguläre Briefwahlstimmen, die teils erst nach dem Schließen der Wahl gezählt werden durften.
Protestiert wird auch von der Gegenseite. In Portland im Bundesstaat Oregon meldete die Polizei Ausschreitungen. Zahlreiche Menschen forderten dort im Sinne Bidens, jede Stimme zu zählen. Laut Medienberichten wurden Schaufensterscheiben zerstört. Die Polizei sprach von geladenen Waffen und Feuerwerkskörpern, die auf Polizisten geworfen worden seien. Auch die Nationalgarde sei aktiviert worden. In New York meldete die Polizei, sie habe mehr als 20 Personen festgenommen, die einen friedlichen Protest hätten kapern wollen.
Auch der juristische Streit läuft. Gerichte können zwar nicht über den Ausgang der Wahl an sich befinden, auch nicht das Oberste Gericht, der Supreme Court. Örtliche Gerichte oder übergeordnete Instanzen können aber über die Rechtmäßigkeit von Fristen, Auszählungsregeln oder die Gültigkeit umstrittener Ergebnisse entscheiden. Trumps Team kündigte an, in Wisconsin eine Neuauszählung der Stimmen zu beantragen. In Michigan, Pennsylvania und Georgia reichten sie Klagen ein, um die Auszählung zu stoppen. Auch in Nevada soll geklagt werden.
Medienberichten zufolge wurden eine Klage von Trump vom zuständigen Gericht in Michigan schon abgewiesen. Doch manche Klagen könnten durch alle Instanzen gefochten werden und beim Supreme Court landen. Dort hat Trump einen Heimvorteil: Sechs der neun auf Lebenszeit ernannten Richter gelten als konservativ, drei davon hat er nominiert.
Die Demokraten warben sogleich um Spenden für Prozesskosten. Sie seien nach Trumps Drohungen „bereit, zurückzuschlagen“, schrieb Bidens Vize-Kandidatin Kamala Harris auf Twitter. „Unsere Arbeit könnte sich über Wochen hinziehen und wir brauchen Ihre Hilfe.“