Biden ist fast am Ziel

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER

München – Am Wahlabend geschah etwas Seltsames. Als die ersten Ergebnisse aus einzelnen Bundesstaaten eintrudelten und es so schien, als überrasche Donald Trump die Welt ein zweites Mal, da herrschte ausgerechnet auf Twitter verdächtige Ruhe. Nicht nur beim liberalen Sender CNN wunderte man sich. Kein Siegestaumel? Aber bald war klar, was los war. Der 74-Jährige hatte sich wohl auf jene Rede vorbereitet, in der er sich zum Wahlsieger erklärte. Twitter musste warten.

Das war am Dienstag, inzwischen haben sich die Dinge fundamental geändert. Joe Biden, 77, hat den Trend in den entscheidenden Staaten gedreht, sodass ihm der Sieg kaum mehr zu nehmen ist. Und die Trump-Familie twittert wild dagegen an. Trumps Sohn Donald Junior forderte seinen Vater zum „totalen Krieg“ um die Wahl auf. Der Präsident selbst schrieb von „illegalen Stimmen“, die nicht gezählt werden dürften. Kurz zuvor hatte er bei einem wütenden Auftritt vor der Presse von Wahlbetrug gesprochen, ohne irgendeinen Beweis für die Behauptung zu liefern (siehe Kasten).

Der Noch-Präsident klammert sich an die Macht, eine Niederlage scheint für ihn keine Option. Dabei sieht alles danach aus.

Am Freitag lag sein demokratischer Herausforderer Biden bei der Auszählung in vier von sechs noch offenen Bundesstaaten in Führung. In Pennsylvania, wo Trump zwischenzeitlich mit gewaltigem Abstand geführt hatte, war Biden laut CNN mit mehr als 13 000 Stimmen vorn. Gewänne er hier, hätte er die die 20 Wahlmänner sicher – und damit die Präsidentschaft. In Nevada und Arizona lag Biden mit 20 000 und 40 000 Stimmen vorne – anders als in Georgia, wo der Vorsprung mit rund 1600 Stimmen so knapp war, dass die Behörden nochmals auszählen wollen. Für Trump sah es in North Carolina und Alaska gut aus. Für einen Sieg wäre das aber nicht genug.

Es ist ein zähes Warten auf die letzten und entscheidenden Ergebnisse. Der Grund ist bekannt: Die ungewöhnlich große Mengen an Briefwahlunterlagen. Hinzu kommen Regelungen in Einzelstaaten. In Pennsylvania beispielsweise durfte niemand vor dem Wahltag Briefwahlstimmen auszählen. Auch die US-Nachrichtensender, die seit Dienstag nichts anderes im Programm haben, wagen sich wegen des knappen Auszählungsstands nicht mit der Kür eines Wahlgewinners vor.

Doch selbst wenn an diesem Wochenende eine Entscheidung fallen sollte: Ausgestanden ist noch lange nichts. Dass Trump letzen Endes eine Niederlage doch noch kampflos eingestehen würde, glaubt kaum jemand. Sein Team betonte noch am Freitag, es sei siegessicher. Trump kündigte an, sich mit einer Serie von Klagen bis zum Obersten Gericht gegen eine Niederlage zu wehren. „Es wird eine Menge Klagen geben. Wir können nicht zulassen, dass eine Wahl auf diese Weise gestohlen wird.“ In einigen Staaten sind Klagen eingereicht. In Michigan und Georgia wurden sie sogar schon abgewiesen.

Der Präsident zieht alle Register – und wird dabei einsamer. Nur wenige Prominente sind noch offensiv an seiner Seite, darunter New Yorks ehemaliger Bürgermeister Rudy Guliani oder der frühere US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell. Doch viele in der eigenen Partei wenden sich ob seines Verhaltens von Trump ab. „Es gibt keine Rechtfertigung für die Äußerungen des Präsidenten heute Abend, die unseren demokratischen Prozess untergraben“, schrieb etwa der Gouverneur des Bundesstaats Maryland, Larry Hogan, auf Twitter. Der Kongressabgeordnete Adam Kinzinger schrieb: „Hören Sie auf, entlarvte Falschinformationen zu verbreiten. (…) Das wird langsam verrückt.“

Bei den siegessicheren Demokraten werden derweil verschiedene Szenarien durchgespielt – etwa, dass Trump sich schlicht weigert, bei einer Niederlage das Weiße Haus zu verlassen. Bidens Sprecher Andrew Bates sagte dazu am Freitag deutlich, man sei „durchaus in der Lage, Eindringlinge aus dem Weißen Haus zu eskortieren“. Ähnliches hatte Biden im Wahlkampf schon gesagt.

Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, lässt sich auch angesichts der aktuellen Eskapaden die Stimmung nicht verderben. Am Freitag sprach sie schon euphorisch vom „gewählten Präsidenten Biden“. Der wollte sich am Abend (Ortszeit) mit einer Ansprache an die Nation wenden. Vermutlich aber noch immer ohne Endergebnis.  mit dpa

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