Leipzig – Am Ende hatten sie, was sie wollten: Sie kamen zu Zigtausenden nach Leipzig, missachteten so gut wie kollektiv die Corona-Regeln und zogen am Ende triumphal über den Leipziger Innenstadtring, die Route der legendären Montagsdemos in der DDR. Aus ganz Deutschland, das war an den vielen Dialekten der Teilnehmer zu hören, waren Anhänger der „Querdenken“-Bewegung am Samstag zu ihrer Großdemo gegen die Corona-Politik angereist. Ihr Protest begann friedlich – und doch provozierten sie mit der massenhaften Missachtung der Corona-Regeln die Auflösung der Veranstaltung.
Wie schon auf Demos der Bewegung in Berlin oder Konstanz mischten sich auf dem Augustusplatz in der Leipziger Innenstadt Rechtsextreme mit Esoterikern, Verschwörungstheoretikern und unscheinbaren Teilnehmern. Die einen tanzten, sangen und meditierten – andere schwenkten Fahnen mit Bezug in rechtsextreme Kreise. Zweieinhalb Stunden ließ die Stadt die nach Polizeiangaben 20 000 Teilnehmer – andere Beobachter gingen von doppelt so vielen aus – ihren Unmut über die Corona-Einschränkungen kundtun, dann löste die Stadt die Veranstaltung auf und die Stimmung begann zu kippen.
Nur schleppend kamen die Teilnehmer dem nach, die Polizei versuchte die abziehenden Teilnehmer von einigen Hundert Gegendemonstranten fernzuhalten. Dabei kam es zu einzelnen Schlägereien zwischen Teilnehmern und Gegendemonstranten, Böller, Raketen und Rauchtöpfe wurden gezündet, Gegenstände flogen auf die Polizei. Angriffe gab es auch auf die Presse: Die Journalistengewerkschaft DJU meldete mindestens 32 Attacken auf Reporter, die im Wesentlichen von „Querdenken“-Teilnehmern ausgegangen seien. Im Stadtteil Connewitz gab es in der Nacht auf Sonntag zudem Krawalle in der linksextremen Szene, die nicht in direkter Verbindung zur Kundgebung standen.
Schon vor der Demo hatten die Veranstalter über den symbolträchtigen Innenstadtring ziehen wollen, nach der Auflösung versuchte die Polizei das zunächst zu verhindern, gab den noch immer Zigtausenden aber nach. Nur mit massiver Gewalt hätte man die Demonstranten daran hindern können, sagte Polizeisprecher Olaf Hoppe. Das habe man vermeiden wollen.
Um das Infektionsrisiko gering zu halten, wollte die Stadt die Veranstaltung an den Stadtrand legen. Das sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) kassierte das jedoch am Samstagmorgen und ließ die Kundgebung auf dem Augustusplatz zu – für maximal 16 000 Teilnehmer und nur bei Einhaltung der Maskenpflicht.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kündigte eine Diskussion über mögliche Konsequenzen an. Überlegt werden müsse, ob die sächsische Corona-Verordnung verschärft werden sollte, sagte Kretschmer am Sonntag in einem Online-Statement. Der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) nannte es unverantwortlich, eine solche Veranstaltung in der Leipziger Innenstadt zuzulassen. Die Einhaltung der Corona-Regeln sei von vornerein unmöglich gewesen. Es sei daher richtig gewesen, „angesichts der offensichtlichen Verstöße, die Versammlung aufzulösen“. Die Corona-Pandemie lasse sich nicht mit polizeilichen Maßnahmen bekämpfen, sondern nur mit Vernunft aller.
In der Koalition geriet Wöller unter Druck. Die sächsischen Grünen verbreiteten, Sachsens Sicherheitsorgane hätten „jegliches Vertrauen verspielt“. Das Nichthandeln von Wöller sei „nicht mehr tragbar“. Die Polizei teilte am Samstagabend mit, sie habe nur 32 Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet und sieben Straftaten verzeichnet.