München – Die Verhandlungen der EU-Kommission mit dem Mainzer Pharmaunternehmen Biontech und dessen US-Partner Pfizer sind abgeschlossen. Der Vertrag soll „in den kommenden Tagen unterzeichnet“ werden, sagte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erwartet nun einen zügigen Zulassungsprozess für den Corona-Impfstoff. Der Vertrag gilt für 200 Millionen Impfdosen für ganz Europa. Für weitere 100 Millionen gibt es eine Option. Spahn möchte, dass Deutschland 100 Millionen Dosen des Serums bekommen soll. Laut Vertrag stehen Deutschland 19 Prozent der von der EU gekauften Gesamtmenge zu, also knapp 56 Millionen Dosen. Bis der einzelne Bürger sich impfen lassen kann, ist es aber noch ein langer Weg:
1. Hürde: Produktion. Biontech, aber auch andere Hersteller haben schon vor der Zulassung mit der Produktion begonnen. Für die Herstellung eines möglichen Corona-Impfstoffs hat das Mainzer Unternehmen von dem Schweizer Pharmakonzern Novartis dessen Produktionsstätte in Marburg gekauft. Dort arbeiten 300 Beschäftigte, die bereits im ersten Halbjahr 2021 bis zu 250 Millionen Dosen des möglichen Impfstoffs herstellen sollen. 750 Millionen Dosen jährlich sollen möglich sein, sobald die Produktionsstätte voll funktionsfähig ist.
2. Hürde: Verteilung. Die Produktion braucht Zeit – aber auch die Auswahl der vorrangig Berechtigten und das Impfen selbst dauert. In einem Thesenpapier geht Matthias Schrappe, Internist an der Uni Köln, davon aus, dass es rund tausend Arbeitstage – also vier Jahre – dauern würde, rund 60 Millionen Menschen in Deutschland zu impfen. Und das auch nur, wenn pro Tag 60 000 Impfungen verabreicht werden können. Deshalb müssen die Tageskapazitäten gesteigert werden. Die Ständige Impfkommission (Stiko) am Robert Koch-Institut (RKI) rechnet damit, dass eine umfassende Impfung der Bevölkerung gegen das Coronavirus bis ins Jahr 2022 dauern wird – bei 100 000 Impfungen pro Tag. Die Bundesländer richten dafür 60 Impfzentren ein. In München soll solch ein Impfzentrum in den Messehallen aufgebaut werden.
Der Impfstoff wird – sobald es ihn gibt – entweder durch die Bundeswehr oder durch die Firmen selbst zu den Standorten geliefert. Zudem sollen mobile Teams in Altenheimen impfen.
3. Hürde: mögliche Nebenwirkungen. Normalerweise dauert es vier bis sieben Jahre, ehe ein neuer Impfstoff zugelassen wird. Für den Corona-Impfstoff gibt es in Europa beschleunigte Zulassungsverfahren. Spahn betont, dass dabei Vorgaben zu potenziellen Nebenwirkungen nicht abgesenkt würden. Doch Leif-Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung an der Berliner Charité, räumte ein, zu möglichen Nebenwirkungen lasse sich noch nicht allzu viel sagen. Zwar hätten sich nach Angaben der Unternehmen keine sicherheitsrelevanten Nebenwirkungen gezeigt. Sander verweist aber darauf, „dass der Beobachtungszeitraum für relevante Impfnebenwirkungen noch zu kurz ist“.
4. Hürde: Unklare Wirkung. Offen ist auch, ob Geimpfte das Virus weitertragen können – was vor allem für Menschen, die im Gesundheitssektor arbeiten, problematisch wäre. Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie in der München Klinik Schwabing, geht davon aus, dass die Corona-Impfung – ähnlich wie die Grippe-Imfpung – regelmäßig wiederholt werden muss. Sebastian Ulbert, Immunologe am Fraunhofer-Institut in Leipzig, rechnet damit, dass Senioren wegen ihres schwächeren Immunsystems eine größere Menge an Impfstoff brauchen.
5. Hürde: Akzeptanz. Die Bundesregierung betont, dass es keine allgemeine Impfpflicht geben soll. Doch die Impfbereitschaft ist in den letzten Jahren auch wegen lautstarker Kampagnen von Impf-Gegnern zurückgegangen und liegt derzeit laut Umfragen bei unter 60 Prozent. Das ist zu wenig, um eine Herdenimmunität auszubilden, weshalb Wissenschaftler die Politik auffordern, mit Aufklärungs-Kampagnen und Transparenz die Impf-Bereitschaft zu erhöhen. „Es braucht am Ende eine hohe Akzeptanz“, so Spahn.