Berlin – Im Netz kursierte am Wochenende ein Video von Karl Lauterbach aus dem Jahr 2011. Darin ruft der SPD-Mann im Bundestag empört: „20 Prozent dieser Doktorarbeit sind nicht echt. Und da will uns der Minister hier erzählen, es habe sich um handwerkliche Fehler gehandelt?“ Gemeint war CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der auf der Regierungsbank ziemlich trübsinnig dreinblickte. Die Attacken von einst fallen den Genossen nun auf die Füße – es droht ein Koalitionskrach.
Der einzige Arbeitsplatz, „wo man trotz Abschreibens, trotz Plagiat“ im Job bleiben könne, sei der im Kabinett Merkel, stichelte Lauterbach weiter. Das gilt jetzt aber auch für seine Parteifreundin Franziska Giffey. Während Guttenberg dann doch noch wegen seiner abgeschriebenen Dissertation zurücktreten musste, möchte die Familienministerin nach dem Verzicht auf ihren Doktortitel weitermachen wie bisher. Sie will im Regierungsamt bleiben und am 27. November für den Berliner SPD-Landesvorsitz kandidieren. Auch ihr großes Ziel, im kommenden Jahr Regierende Bürgermeisterin von Berlin zu werden, behält sie fest im Blick. Hintergrund für Giffeys Titel-Verzicht ist, dass die Freie Universität Berlin angekündigt hatte, sie wolle das Prüfverfahren um die fehlerhafte Doktorarbeit neu aufrollen. Die Ministerin war bisher mit einer Rüge davongekommen.
Aus dem Schneider ist die 42-Jährige jedenfalls noch nicht. Einerseits drängen Politiker wie FDP-Mann Wolfgang Kubicki darauf, weiterhin zu klären, ob Giffey bei der Erstellung ihrer Arbeit geschummelt hat. „Stellt sich heraus, dass sie getäuscht hat, bleibt ihr nur der Rücktritt“, sagt Kubicki. Andererseits ist die Empörung groß, dass die SPD bei Guttenberg andere Maßstäbe angelegt hat als sie es jetzt tut. Genüsslich werden im Netz Zitate von SPD-Politikern zur damaligen Affäre verbreitet, wie das des heutigen Staatssekretärs im Arbeitsministerium, Björn Böhning: „Guttenberg will auf Doktortitel verzichten. Aber den akademischen Grad kann man gar nicht zurückgeben. Betrug oder kein Betrug ist die Frage“, twitterte er einst. Bei der politischen Konkurrenz wirft man den Sozialdemokraten jetzt „Doppelmoral“ vor.
Aus der CDU-Spitze heißt es, man sei „verwundert über die Kehrtwende der Familienministerin“. Die Studenten des AStA der Freien Uni hätten die Prüfung von Giffeys Doktorarbeit auf den Weg gebracht und sie hätten ein Anrecht darauf, dass die Rechtmäßigkeit der Promotion geklärt werde. Darüber hinaus bestünde „ein Interesse der Allgemeinheit, dass das Prüfverfahren fortgeführt wird“. Es müsse vor der Abgeordnetenhauswahl in Berlin vorliegen. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, hieß es im Konrad-Adenauer-Haus weiter, gehe man davon aus, „dass die SPD ihre moralischen Maßstäbe für wissenschaftliche Plagiate wie in der Vergangenheit auslegt“. Kurzum: Nach dem Willen der Union muss Giffey von allen Ämtern zurücktreten.
Bei der SPD hält man der Ministerin demonstrativ die Stange: „Franziska Giffey braucht keinen Doktortitel, um gute Politik für die Bürgerinnen und Bürger zu machen“, sagte Fraktionsvize Dirk Wiese unserer Zeitung. „Ihr Umgang mit der Situation ist souverän.“ Die Affäre um zu Guttenberg als Vergleich zu bemühen, sei daneben. Angriffe aus der Union und der Opposition „zeugen eher von politischer Verzweiflung, um eine beliebte und gute Politikerin zu diskreditieren“. HAGEN STRAUSS