Er gilt als einer der profiliertesten Wirtschaftspolitiker der CDU. Carsten Linnemann ist seit 2013 Bundesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion. Ein Gespräch mit dem 43-Jährigen über seine Vorstellungen für die künftige Corona-Politik und seine Ansprüche an den nächsten Kanzlerkandidaten.
Angela Merkel will keine Zusage geben, dass die Gastronomie am 1. Dezember öffnen kann. Befürchten Sie einen längeren Teil-Lockdown?
Ja. Aber wenn man die Cafés und Restaurants in den Innenstädten auch im Dezember schließt, dann war es das mit dem Weihnachtsgeschäft für den stationären Einzelhandel. Die stehen bereits am Abgrund und würden dann noch einen Schubs bekommen. Deshalb plädiere ich dafür, dass man unter strengen Hygienevorschriften gastronomische Angebote zulässt. Ansonsten übernehmen Amazon und Co. das gesamte Weihnachtsgeschäft.
Die Schließung der Gastronomie trifft also auch den Handel?
Absolut. Der Teil-Lockdown zeigt, wie wichtig diese Kombination ist. Ich höre, dass der stationäre Handel derzeit 50 Prozent weniger als normal einnimmt.
Reichen die Novemberhilfen in Höhe von zehn Milliarden Euro aus?
Ich fürchte nein. Dass der Staat Umsätze ausgleicht, können wir uns einmal leisten, aber nicht die nächsten Monate. Wir können die Wirtschaft nicht auf Dauer künstlich beatmen. Wir müssen aufpassen, das Gefühl für Geld nicht zu verlieren.
Sollte die Mehrwertsteuersenkung verlängert werden?
Nein. Zum 1. Januar werden 90 Prozent der Soli-Zahler durch die Abschaffung des Solis entlastet. Zudem hat die Senkung nicht so gewirkt wie gewünscht, dafür aber zu mehr Bürokratie geführt.
Die Infektionszahlen bleiben auf einem hohen Niveau. Was sind die Alternativen zum Lockdown?
Ich vermisse eine langfristige Strategie. Der Virologe Hendrik Streeck weist zu recht darauf hin, dass wir ein, zwei oder noch mehr Jahre mit dem Virus leben werden müssen. Wenn es exponentielles Wachstum gibt, ist es richtig, auf die Bremse zu treten. Deswegen sind die November-Maßnahmen grundsätzlich vertretbar. Aber wir können nicht alle zwei Monate so verfahren.
Wie sieht Ihre Langfriststrategie aus?
Wir brauchen eine komplette Überarbeitung der Corona-Warnapp. Ich erwarte, dass bei dem Treffen der Ministerpräsidenten mit Angela Merkel darüber gesprochen wird. So wie die App jetzt ist, bringt sie nur sehr wenig. Die App muss mehrmals am Tag aktualisiert werden. Sie muss über die Regeln informieren, die an dem Ort gelten, an dem ich gerade bin. Für den Restaurantbesuch muss es einen QR-Code geben. Und wer freiwillig seine Bewegungsdaten preisgeben will, sollte dies tun können. In dem Punkt verstehe ich den Aufschrei der Datenschützer nicht.
Was sollte ab Dezember passieren?
Ich bin für differenzierte Lösungen. Ist es zum Beispiel richtig, den gesamten Sport draußen für junge Menschen zu verbieten? Das Ansteckungsrisiko draußen ist signifikant geringer als drinnen. Es dürfen nicht alle Restaurants über einen Kamm geschoren werden. Wer die strengen Hygieneauflagen erfüllt, sollte öffnen dürfen. Wir müssen den Fokus stärker auf die legen, die sich nicht an die Regeln halten.
Zur CDU: Wäre Jens Spahn denn der beste Kandidat?
Er hat sich dazu entschieden, zusammen mit Armin Laschet auf diese Reise zu gehen. Das muss man akzeptieren. Ich schätze Jens Spahn sehr. Er hat einen klaren Kompass. Ich würde mich freuen, wenn er in der Zukunft auch andere Positionen als die des Gesundheitsministers einnimmt.
Wer wird Kanzlerkandidat?
Derjenige, der die besten Chancen hat, die Bundestagswahl zu gewinnen. Der nächste Wahlkampf wird für die Union der härteste seit Langem. Ohne Angela Merkel wird alles auf null gestellt. Es gibt keinen Amtsinhaber, der antritt. Klar ist, dass der CDU-Vorsitzende die allerbesten Chancen hat, auch Kanzlerkandidat zu werden. Für die Mittelstandsunion ist das Friedrich Merz.
Können Sie Parteifreunde verstehen, die nach Markus Söder rufen?
Er zeigt als bayerischer Ministerpräsident Führung. Es gibt eine Sehnsucht nach einer Person, die klar weiß, wo sie hinwill. Deshalb wäre er ein Kandidat. Aber er sagt selbst, dass sein Platz in Bayern ist. Damit ist alles gesagt.
Interview: Alexander Schäfer