Berlin – Zu den schönen Konstanten im Ablauf grüner Bundesparteitage zählt der Programmpunkt „Party“. So soll den rund 800 Delegierten auch an diesem Samstagabend wieder eine Band einheizen. Nur gibt es da ein gewisses Problem: Die Musiker spielen praktisch nur vor laufender Kamera. Wegen der Corona-Pandemie wurde das dreitägige Delegiertentreffen von Karlsruhe, dem ursprünglich geplanten Austragungsort, komplett ins Netz verlegt. Die grüne Gemeinde soll vom heimischen Sofa aus digital diskutieren, abstimmen – und irgendwie auch Party machen.
Im Mittelpunkt der am Freitagabend beginnenden Mega-Schalte steht ein neues Grundsatzprogramm. Die alten Leitgedanken unter dem zweifellos weitsichtigen Motto „Die Zukunft ist grün“ stammen noch aus dem Jahr 2002 und wurden damals im Berliner „Tempodrom“ verabschiedet. Just am gleichen Ort laufen jetzt die organisatorischen Fäden zusammen. Die Halle fungiert als großes Studio, in dem das Parteitagspräsidium, der sechsköpfige Grünen-Vorstand sowie einige Techniker sitzen. Unter strengen Hygienebedingungen, versteht sich. Die eigens entwickelte digitale Plattform wurde zuvor schon bei zwei Landesparteitagen getestet und für tauglich befunden.
Ein rundum harmonisches, virtuelles Beisammensein dürfte es trotzdem nicht werden, selbst wenn die Technik reibungslos funktioniert. Die beiden Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck sind zwar unumstritten. Doch ihr Grundsatzprogrammentwurf stößt nicht unbedingt auf einhellige Begeisterung. Die Vorlage soll den Führungsanspruch der Grünen untermauern und „ein Angebot an die Breite der Gesellschaft“ darstellen, wie Bundesgeschäftsführer Michael Kellner erklärte. Schon die Überschrift „…zu achten und zu schützen…“ spannt jedenfalls einen großen Bogen. Es sind Worte aus Artikel 1 des Grundgesetzes. Er lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Dagegen kann keiner ernsthaft etwas haben. Anders ist es mit dem Kleingedruckten: Das klare Bekenntnis zur „sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ zum Beispiel geht grünen Kapitalismuskritikern wegen des Begriffs der „Marktwirtschaft“ gegen den Strich. Umstritten ist auch das Thema Gentechnik. Laut Programmentwurf soll sie „ebenso gestärkt werden wie alternative Ansätze, die auf traditionelle Züchtungsverfahren setzen“. Viele Grüne halten jedoch rein gar nichts von der Gentechnik, weshalb der Partei hier auch der Geruch von Technikfeindlichkeit anhaftet. Am Donnerstag hatten namhafte Wissenschaftler die Grünen deshalb vor ideologischer Verblendung gewarnt.
Selbst bei ihrer Paradedisziplin, dem Klimaschutz, sind sich die Grünen nicht durchweg grün. Während der Programmentwurf einen kleinen Spielraum bei der Erderwärmung zugesteht, wird in der Gegenposition ein eindeutiges Bekenntnis zum 1,5-Grad-Ziel verlangt. Die größten Kontroversen sind allerdings bei der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen zu erwarten. Gleich mehrere Anträge machen sich dafür stark. Bereits im Jahr 2007 hatten die Grünen darüber auf einem Parteitag lange diskutiert und die Idee schließlich mit einer eher knappen Mehrheit von 58,6 Prozent abgeschmettert. Die aktuelle Programmvorlage wirbt indes für eine sanktionsfreie Grundsicherung, die Hartz IV ersetzen, aber auch weiterhin nur bei sozialer Bedürftigkeit gewährt werden soll. STEFAN VETTER