Heikle Störaktionen von rechts

von Redaktion

AfD-Abgeordnete schleusten Youtuber und Aktivisten in den Reichstag – Konsequenzen drohen

München – Es ist eine unangenehme Situation, aus der sich Peter Altmaier (CDU) mit einiger Lässigkeit befreit. Am Mittwoch, die brisante Debatte über das Infektionsschutzgesetz steht an, wartet der Wirtschaftsminister auf den Aufzug im Reichstag, als ihn eine Frau abfängt. „Der hat doch kein Gewissen, der Mann“, ruft sie und filmt Altmaier mit ihrem Handy. Der kontert betont ruhig: „Sie sind eine kleine Minderheit, mehr sind sie nicht.“ Als er im Aufzug steht, ruft ihm die Frau noch nach: „So ein Arschloch.“ Er dürfte das nicht mehr gehört haben.

Die Sache ist gut dokumentiert, ein Video davon kursiert im Netz und macht seit Mittwoch Furore. Auch, weil sie kein Einzelfall war. Nicht nur im Bundestag fragt man sich: Wie konnte das passieren?

Bei der Frau handelt es sich um Rebecca Sommer, eine rechte Youtuberin. Neben ihr trieben sich auch der verschwörungsgläubige Publizist Thorsten Schulte und die AfD-nahen Youtuber Ilia Tabere und Daniela Scheible im Gebäude herum. Sie bedrängten mehrere Abgeordnete und versuchten, sich Zugang zu Büros zu verschaffen. Eigentlich galten am Mittwoch schärfere Sicherheitsvorkehrungen. Aber die Vier waren als Gäste im Bundestag. Gastgeber: drei AfD-Männer.

Ein Sicherheitsbericht der Bundespolizei nennt drei Namen: Udo Hemmelgarn, Petr Bystron und Hansjörg Müller. Die beiden Letztgenannten kommen aus Bayern. Bystron, ehemals AfD-Chef im Freistaat, soll Rebecca Sommer eingeladen haben. Er kennt sie von den Treffen, die die AfD im Bundestag für mit ihr verbandelte Youtuber und Aktivisten organisiert. Gestern ließ Bystron ausrichten, einer der vier „Gäste“ sei über sein Büro angemeldet worden. Angeblich ohne sein Wissen. Auch Müller weist die Verantwortung von sich. Er habe zwar drei Gäste empfangen. Die hätten sich aber „gesittet“ verhalten.

Im Bundestag kauft ihnen kaum jemand die Ahnungslosigkeit ab. Im Gegenteil: Viele halten die Aktion für bewusste Provokationen an einem ohnehin angespannten Tag. „Ich habe mir schon gedacht, dass so etwas passieren kann“, sagt der parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stefan Müller. Er selbst begegnete auf dem Weg ins Reichstagsgebäude einigen der Störer. Dass sich jemand mal danebenbenimmt, komme vor, sagt er. Auch dass die AfD mit provokanten Aktionen auffällt, sei nicht neu. „Aber das hatte eine Qualität, die ich bisher noch nicht erlebt habe.“

Auch Altmaier sagte unserer Zeitung, der Versuch, in Büros von Abgeordneten einzudringen, sei erschreckend. „Mich bedrückt sehr, dass offenbar andere Kollegen bedrängt wurden, die sich nicht so leicht damit tun.“ Er selbst habe keine Angst gehabt. „Es waren ja auch andere in der Nähe und ich bin ja nicht von schlechten Eltern.“

So viel ist klar: Die Sache wird ein Nachspiel haben. Gestern beschäftigte sich der Ältestenrat, dem auch Müller angehört, mit den Vorfällen. Nun sollen mögliche Sanktionen geprüft werden: Mindestens ein Hausverbot für die vier Störer, womöglich strafrechtliche Konsequenzen für die drei AfD-Abgeordneten. Wolfgang Kubicki (FDP) sagte, zum wiederholten Mal seien Abgeordnete die „Türöffner für politische Agitatoren“ geworden. „In diesem Falle ist die Beeinträchtigung des Parlamentsbetriebes jedoch besonders gefährlich.“ Man könne von Nötigung einzelner Abgeordneter sprechen. Und die kann mit einer Freiheitsstrafe geahndet werden.

Auch ins Büro der AfD-Fraktionschefin Alice Weidel sollen die Störer eingedrungen sein. Sie und Co-Fraktionschef Alexander Gauland bemühten sich um Schadensbegrenzung. Man bedauere das „inakzeptable Verhalten“, erklärten sie. Nie habe man Gäste mit dem Ziel einladen wollen, den parlamentarischen Ablauf zu stören. Für viele dürfte das wenig glaubhaft klingen. MARCUS MÄCKLER/H. STRAUSS

Artikel 1 von 11