Wie die ’Ndrangheta trotz Corona abkassiert

von Redaktion

VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom – Die Kombination ist toxisch. Der Gesundheitssektor im süditalienischen Kalabrien gilt als überfinanziert, aber desolat. Obwohl etwa 60 Prozent des regionalen Bruttosozialprodukts – doppelt so viel wie im Norden des Landes – hineinfließen, schlägt Corona hier besonders stark zu. Und mehr noch: Das viele Geld lockt auch die Mafia an, namentlich Kalabriens ’Ndrangheta, deren jährlicher illegaler Umsatz auf 54 Milliarden Euro geschätzt wird.

Es wundert kaum, dass die Staatsanwaltschaft aus der Regionshauptstadt Catanzaro am Mittwoch 19 Unternehmer, Anwälte, Steuerberater und hauptberufliche Mafiosi verhaften ließ, die sich an den Schnittstellen zwischen Politik, Gesundheitswesen und Mafia bewegten. Unter ihnen war auch Domenico Tallini, Präsident des Regionalparlaments und Mitglied der Berlusconi-Partei Forza Italia. Tallini soll 2014 nach Informationen der Ermittler dem berüchtigten ‘Ndrangheta-Clan Grande Aracri aus Cutro die Geschäfte erleichtert haben.

Der Clan war dabei, ein eigenes Apotheken-Netzwerk aufzubauen und wollte kostbare und streng rationierte Krebsmedikamente international zu Wucherpreisen verkaufen. Er investierte, Tallini, damals Personalchef der Regionalverwaltung, beseitigte die Probleme. Er setzte willfährige Beamte ein, die dem Apothekenkonsortium Genehmigungen erteilten, sorgte für Infrastruktur und suchte Apotheken, die sich dem Konsortium anschlossen. Ihrem Ermittlungsverfahren gaben die Staatsanwälte um Nicola Gratteri den Namen „Farmabusiness“. Es ist der am wenigsten bekannte, aber besonders relevante Geschäftszweig der italienischen Mafia.

Auf zwei Milliarden Euro werden die staatlichen Schulden im kalabrischen Gesundheitssektor taxiert. Seit 2010 wird der Sektor wegen Mafia-Infiltrationen von einem Kommissar geleitet. Die Zwangsverwaltung hat den Geschäften der Mafia aber offenbar nicht geschadet. „Das Gesundheitswesen ist stabil in der Hand der ‘Ndrangheta“, schreibt Bestseller-Autor Roberto Saviano. Zwar seien Krankenhäuser geschlossen und Personal gekürzt worden, der Sektor sei aber nicht restrukturiert worden.

Wie verwurzelt die Mafia im Gesundheitssystem ist, zeigen frühere Fahndungserfolge. Dabei kam heraus, dass die Clans Arztpraxen, Labors und Forschungszentren kontrollieren. Bosse waren am Bau von Krankenhäusern beteiligt, entschieden Reinigungs-Ausschreibungen für sich und sprachen sogar bei der Berufung von Chefärzten mit. 2005 wurde der Politiker und Arzt Francesco Fortugno ermordet, der den Ermittlern die Verstrickungen der Mafia im Sektor gesteckt hatte. Auftraggeber waren zwei Mafiosi, die als Pfleger im Krankenhaus Locri beschäftigt waren.

Die Regierung in Rom, die Kalabrien Anfang November als rote Corona-Zone einstufte, ist seit Tagen auf der Suche nach einem Manager, der im Gesundheitswesen das Heft in die Hand nimmt. Drei Kandidaten verschlissen sich binnen zehn Tagen. Kandidat eins und zwei waren wohl ungeeignet. Die Absage des dritten Kandidaten wurde damit begründet, dass dessen Ehefrau nicht nach Catanzaro umziehen wolle. Nun sollen die Hilfsorganisation Emergency und der Zivilschutz eingreifen. Beide sind spezialisiert auf Katastrophenhilfe.

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