Athen – Serres rückt nur sehr selten ins Rampenlicht, das liegt nicht nur an der Lage. Mit ihren 58 000 Einwohnern ist die griechische Stadt nur einen Katzensprung von der Grenze zu Bulgarien entfernt. Es gibt kaum Sehenswürdigkeiten, kein Meer, keine Berge, dafür längere und trübere Winter als im Rest des Landes. Dieser Tage aber spricht man sogar in der Hauptstadt Athen über Serres. Das hat einen makabren Grund.
Die Nachricht, wonach auf einem der Friedhöfe der Stadt die ersten zusätzlichen 35 Gräber für künftige Covid 19-Tote ausgehoben wurden, schlug in ganz Griechenland hohe Wellen. Vizebürgermeister Georgios Tairis betonte, dies geschehe vorsorglich. „Wir müssen auf unserem Friedhof die Infrastruktur schaffen, um erhöhte Bedürfnisse, die sich womöglich in der Zukunft ergeben werden, zu befriedigen.“ Die Zahl der Gräber für Covid-Tote könne jedenfalls umgehend aufgestockt werden.
Fakt ist: Serres ist zu einem Corona-Hotspot avanciert. Im ganzen Land explodieren die Infektionszahlen – und das, obwohl am 7. November erneut ein harter Lockdown in Kraft getreten ist, mit Ausgangssperre von 21 bis fünf Uhr. Es ist ein schwarzer Monat für Griechenland. Vom 1. bis 21. November wurden 47 711 Neuinfektionen und 843 Sterbefälle registriert. Allein am Samstag starben 108 Menschen an und mit dem Virus. So viele wie nie zuvor. Insgesamt wurden seit Beginn der Pandemie in Griechenland mit seinen knapp elf Millionen Einwohnern mehr als 90 000 Infektionen nachgewiesen. 1527 Menschen starben bisher an oder mit dem Virus.
Das seit dem Beinahe-Staatsbankrott im Frühjahr 2010 kaputtgesparte Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps. Insgesamt verfügt das Land über 1220 Intensivbetten, 651 davon sind für Corona-Patienten reserviert. Davon waren am Freitag 85 Prozent belegt – Tendenz stark steigend. Besonders kritisch ist die Lage in Nordgriechenland. In der Metropole Thessaloniki waren am Freitag von 218 Covid-Intensivbetten bereits 210 belegt. Auf dem Parkplatz des Militärkrankenhauses wurde eine mobile Klinik der griechischen Streitkräfte errichtet. In manchen Städten im Norden sind die Intensivstationen so voll, dass Corona-Kranke außerhalb der Intensivstationen künstlich beatmet werden müssen.
Die Regierung unter dem konservativen Premier Kyriakos Mitsotakis musste die Reißleine ziehen. Am Freitag beschlagnahmte sie zwei Privatkliniken in Thessaloniki für die Intensivversorgung der Covid-Patienten, nachdem sich die Besitzer beharrlich geweigert hatten, Betten bereitzustellen. Zuvor ließen sie ein Ultimatum der Regierung verstreichen. Ihre Weigerung begründeten sie damit, dass „Covid-19-Patienten andere Patienten, die in ihren Kliniken mit anderen Krankheiten behandelt werden, anstecken“ würden.
Der Regierung warfen die Privatklinikbesitzer vor, sie nicht auf diesen Ernstfall vorbereitet zu haben, im Gegenteil. Noch im September habe ihnen die Regierung versichert, dass die zweite Corona-Infektionswelle milde ausfallen werde, sagte der Präsident der griechischen Privatklinikbetreiber, Grigoris Sarifianos, im Athener Fernsehsender „Skai“.
Sollte die Lage in Thessaloniki völlig außer Kontrolle geraten, hat die Regierung Mitsotakis immerhin schon eine andere Lösung parat: Ein Zug der griechischen Bahngesellschaft Trainose mit mehreren Waggons ist am Hauptbahnhof in Thessaloniki schon jetzt abfahrbereit. Der „Corona-Zug“ soll schwerkranke Covid-Patienten zur Behandlung in das mehr als 500 Kilometer entfernte Athen bringen.