Washington – Erst ein Truthahn – und dann sich selbst? US-Präsident Donald Trump begnadigte gestern bei einer traditionellen Zeremonie vor dem Thanksgiving-Fest einen Truthahn und bewahrte ihn so vor dem Bratofen. Zugleich gibt es Spekulationen, ob der abgewählte Präsident sich vor Ende seiner Amtszeit selbst eine umfassende Begnadigung ausstellen könnte – gewissermaßen als Blankoscheck für drohende Justizverfahren in der Zukunft. Ob Trump sich tatsächlich selbst begnadigen kann, ist allerdings umstritten.
Sicher ist: Als Präsident genießt Trump umfassenden Schutz vor Strafverfolgung. Das ändert sich aber, wenn er am 20. Januar das Weiße Haus verlassen muss. Auf den 74-Jährigen könnten dann viele juristische Auseinandersetzungen zukommen.
Da sind etwa die Ermittlungen der New Yorker Justiz über eine frühere Schweigegeldzahlung an die Pornodarstellerin Stormy Daniels sowie über das teils dubiose Geschäftsgebaren seiner Trump Organization, in der seine Geschäftstätigkeiten gebündelt sind. Im Raum steht der Verdacht des Banken- und Versicherungsbetrugs. Zahlreiche Frauen haben Trump zudem in der Vergangenheit sexuelle Übergriffe bis hin zur Vergewaltigung vorgeworfen. Neue Verfahren sind nicht ausgeschlossen. Auch die Untersuchungen zur Russland-Affäre könnten erneut an Fahrt gewinnen.
Es war just mit Blick auf die Russland-Affäre, dass Trump im Juni 2018 twitterte: „Ich habe das absolute Recht, mich selbst zu begnadigen.“ Er fügte hinzu, er habe keinen Grund, das zu tun, schließlich habe er sich nichts zuschulden kommen lassen. Nur: Kann ein Präsident sich überhaupt selbst begnadigen?
Das umfassende Recht des Präsidenten zu Begnadigungen ist in der US-Verfassung festgehalten. Dort heißt es, der Präsident habe „außer in Amtsanklagefällen das Recht, Strafaufschub und Begnadigung für Straftaten gegen die Vereinigten Staaten zu gewähren“. Das bedeutet einerseits, dass der Präsident sich nicht selbst bei einem Amtsenthebungsverfahren – dem Impeachment – begnadigen kann. Zugleich kann der Präsident nur Menschen begnadigen, die auf Bundesebene nach Bundesrecht verurteilt wurden, nicht auf Ebene der Bundesstaaten auf Grundlage von Landesrecht.
Ob der Präsident sich außerhalb des Impeachment selbst begnadigen kann, ist bei Experten umstritten. Die Verfassung führt dies nicht näher aus. Das US-Justizministerium schrieb 1974 in einem Memo: „Gemäß der grundlegenden Regel, dass niemand Richter über sich selbst sein kann, kann der Präsident sich nicht selbst begnadigen.“ Einige Rechtswissenschaftler sehen das aber anders. Und einen Präzedenzfall gibt es nicht. Sollte Trump sich selbst begnadigen, müsste letztlich der Oberste Gerichtshof entscheiden, ob das rechtmäßig ist.
Um die Frage der Selbst-Begnadigung zu umschiffen, könnte Trump einen Kniff anwenden: Er könnte vor dem Ende seiner Amtszeit am 20. Januar zurücktreten. Dann würde sein Stellvertreter Mike Pence bis zum Amtsantritt von Wahlsieger Joe Biden nachrücken – und Trump begnadigen.
Die wohl bekannteste Begnadigung der US-Geschichte sprach Präsident Gerald Ford im September 1974 seinem kurz zuvor wegen der Watergate-Affäre zurückgetretenen Vorgänger Richard Nixon aus. Die „absolute Begnadigung“ umfasste „alle Straftaten gegen die Vereinigten Staaten“, die Nixon während seiner Präsidentschaft „beging oder begangen haben könnte“. afp