Zähes Ringen im Kanzleramt

von Redaktion

VON MARC BEYER

München/Berlin – Als die versierte Verhandlerin Angela Merkel schließlich vor die Kameras tritt, deutet nichts auf die Strapazen des Tages hin. 21.32 Uhr ist es, knapp siebeneinhalb Stunden haben die Kanzlerin und die 16 Ministerpräsidenten per Videoschalte über die weiteren Corona-Maßnahmen beraten. Die Verhandlungen waren langwierig, zwischendurch auch zermürbend. Merkel aber nimmt die Gelegenheit wahr, den Bürgern „einmal Danke“ zu sagen für die Solidarität und Disziplin. Das ist ihre eine Botschaft.

Die andere ist weniger besinnlich. Man brauche „noch einmal eine Kraftanstrengung“, weil die bisherigen Maßnahmen die Infektionskurve zwar abflachen konnten, man aber noch „viel zu weit entfernt“ sei vom Inzidenzwert 50 und sich auf einem „viel zu hohen Plateau“ bewege. Dass die Beratungen sich so zogen, lag auch daran, dass Bund und Länder lange darüber debattierten, welche Werte welche Maßnahmen nötig machen.

Die Länderchefs sind nach dem letzten Treffen mit dem Auftrag verabschiedet worden, ihrerseits Vorschläge auszuarbeiten. Rasch zeigt sich gestern, dass sie ihre Hausaufgaben gemacht haben und gut abgestimmt in diese Beratungen gehen. Beispielhaft wird das bei dem neuen Hotspot-Wert sichtbar. Ab einem Inzidenzwert von 200, so setzen es die Ministerpräsidenten durch, sollen Maßnahmen nochmals verschärft werden, dann in Eigenregie von den Ländern oder sogar den Landkreisen. In den Schulen heißt das etwa, dass ab der achten Klasse Wechselunterricht stattfinden soll. Vieles, was in der Runde festgelegt wird, klinge jedoch „noch nicht klar genug“, bemängelt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Als sei um jede Formulierung gerungen worden.

Die Marke 200 ist drastisch höher als die vom Bund favorisierte 50. Sie hat die Kanzlerin immer wieder genannt, nur bis zu ihr könnten Infektionswege zurückverfolgt werden. Nun wird also eine weitere Schwelle eingezogen, die den explodierenden Zahlen Rechnung trägt. Der bundesweit höchste Inzidenzwert – im thüringischen Hildburghausen – beträgt gestern 526,9. Von 50 redet hier niemand mehr. Insgesamt gibt es 63 Städte und Landkreise, die über 200 liegen.

Zwischenzeitlich müssen die Beratungen bei diesem Thema unterbrochen werden, zu gewaltig sind die Differenzen. Doch letztlich einigt man sich, der Handlungsdruck ist schließlich enorm. Schon sehr früh am Nachmittag wird die Dramatik zum ersten Mal konkret. Söder, so berichtet die „Bild“, macht den Ernst der Lage mit dem Vergleich anschaulich, die Zahl der Toten sei aktuell so hoch, „als würde jeden Tag ein Flugzeug abstürzen“. Allein gestern sind es 410.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller lobt schließlich, es sei eine „neue Qualität“, dass Länder nun „in beide Richtungen“ agieren könnten, Verschärfung oder Lockerung. Letzteres ist ein Luxus, den sich aber nicht viele Regionen werden erlauben können. Die Bundeskanzlerin warnt dann auch vor einer „schwierigen“ Weihnachtszeit, selbst wenn manche Fessel dann für ein paar Tage etwas loser sitzen wird. Oder gerade deshalb.

Sie blicken dem Jahresende mit gemischten Gefühlen entgegen. Ein bisschen Feiern ist erlaubt, aber bitte ohne Exzesse, ohne Böllern, ohne Leichtsinn. Und möglichst auch ohne Reisen. Diesmal, warnt Söder, „dürfen die Ferien nicht wieder ein Rückschlag werden“.

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