Berlin – Franziska Giffey hat in Berlin noch viel vor. Erst wählte die Hauptstadt-SPD die Bundesfamilienministerin am Samstag mit großer Mehrheit zusammen mit Fraktionschef Raed Saleh zur neuen Doppelspitze. „Det wird jut“, zeigten sich beide in Berliner Mundart überzeugt. Sofort danach erklärte sie, bei der Abgeordnetenhauswahl 2021 als Spitzenkandidatin antreten zu wollen. Kaum jemand bezweifelt, dass Giffey auch dafür eine Mehrheit findet.
Schafft es die SPD im nächsten September wie 2016, stärkste Kraft zu werden, würde Giffey (42) Regierende Bürgermeisterin. Allerdings liegen auf dem Weg ins Rote Rathaus noch einige Stolpersteine. Denn die Strahlefrau gilt zwar als Hoffnungsträgerin – aber in die zur Schau getragene Euphorie in weiten Teilen der Partei haben sich Sorgen gemischt, seit Giffeys Doktortitel und die Plagiatsvorwürfe wieder für Schlagzeilen sorgen.
Eigentlich schien das Thema durch zu sein: Die Freie Universität Berlin (FU) entschied im Herbst 2019, Giffey dürfe ihren Doktortitel behalten, erteilte ihr aber wegen Mängeln in der Arbeit eine Rüge. Jüngst kündigte die FU nach viel Kritik und einem weiteren Gutachten eine erneute Prüfung an, die bis Ende Februar beendet sein soll. Kurz darauf verkündete Giffey, ihren Doktortitel nicht mehr führen, aber Bundesfamilienministerin bleiben zu wollen. Das neue Prüfverfahren macht ihren Start in die Landespolitik nicht einfacher, für die Opposition ist es eine schöne Vorlage.
Und so ist die Wahl zur SPD-Vorsitzenden mit einem guten Ergebnis von fast 90 Prozent zwar ein wichtiger erster Schritt für ihre neue Karriere, aber auch nicht mehr. Aus SPD-Kreisen ist zu hören, dass es durchaus Kritik an Giffey und ihrer Spitzenkandidatur gibt. Aber es fehlt an überzeugenden Alternativen. „Wenn wir sie absägen, dann können wir einpacken“, sagt ein prominentes SPD-Mitglied.
Manche der Parteilinken, die in Berlin eine größere Rolle spielen als in vielen anderen Landesverbänden, denken bei Giffey allerdings immer gleich an Heinz Buschkowksy. Der hemdsärmelige Neuköllner Bürgermeister machte gerne auf harten Hund und weniger auf linken Sozi. Er gilt als Giffeys politischer Ziehvater. Manche ihrer Äußerungen zur öffentlichen Sicherheit erinnern an den Law-und-Order-Freund aus Neukölln, dem Giffey im Amt nachfolgte. Das gefällt nicht jedem. Auf Zustimmung von Links kann Giffey auch als neue Co-Vorsitzende nicht in jedem Fall setzen.
Aber die große Mehrheit bei ihrer Wahl zeigt, dass die Hoffnung auf die Strahlkraft der 42-Jährigen, die seit ihrer Zeit als Neuköllner Bezirksbürgermeisterin das Image der zupackenden, bürgernahen Politikerin pflegt, die Skepsis überwiegt. Dass sie ihren Titel verlieren könnte, gilt unter Berlins Sozialdemokraten – egal aus welchem Spektrum – allenfalls als Schönheitsfehler. In der Partei heißt es, selbst wenn sie als Bundesministerin dann zurücktreten sollte, sei das kein Grund, die Spitzenkandidatur aufzugeben. „Ihr könnt euch auf mich verlassen, egal, was kommt. Ich bin für euch da, wir sind für euch da“, sagte Giffey am Samstag. Soll heißen: Die Spitzenkandidatur hat für sie nichts mit dem Doktortitel zu tun.
„Wenn wir gemeinsam zusammenstehen, dann werden wir stark sein, dann werden wir Menschen überzeugen“, rief Giffey den Berliner Delegierten an ihren Rechnern zu. A. HEIMANN/S. KRUSE