Meuthen liest seiner AfD die Leviten

von Redaktion

VON WERNER KOLHOFF

Berlin – Vieles war erwartet worden vom AfD-Parteitag in Kalkar. Dass die Behörden ihn wegen Nichteinhaltung der Hygiene-Vorschriften vorzeitig beenden. Doch die 600 Delegierten waren sehr diszipliniert. Oder eine Spaltung in der Sozialpolitik. Hier aber fand man mit großer Mehrheit ein Konzept. Niemand hatte im Vorfeld jedoch damit gerechnet, dass Parteichef Jörg Meuthen für einen Eklat sorgen würde. Und zwar mit massiver Kritik an den eigenen Leuten.

Der 59-Jährige kam in seiner Eröffnungsrede sofort auf die Lage seiner Partei zu sprechen, die in den Umfragen bei sieben Prozent dümpelt. Die AfD sei „an einem Punkt, an dem alles wieder kaputt gehen kann“, warnte Meuthen. Und das liege am Auftreten eigener Mitglieder. So hätten Bundestagsabgeordnete Corona-Demonstranten, „die rumkrakeelen und rumprollen“, unterstützt. Das seien Leute, die zum Teil „nicht geradeaus, geschweige denn quer denken können“. Meuthen schilderte das Beispiel eines Abgeordneten, der ein Gerangel mit der Polizei provoziert habe. „So etwas ist Kindergarten“. Außerdem kritisierte er den Begriff „Corona-Diktatur“, allerdings ohne zu erwähnen, dass ihn der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland benutzt hatte: „Wir leben in keiner Diktatur, sonst könnten wir diesen Parteitag nicht abhalten.“ Das Infektionsschutzgesetz sei auch kein „Ermächtigungsgesetz“. Meuthen verlangte von seiner Partei, eine „seriöse Alternative“ zu sein und nicht „immer enthemmter“ aufzutreten. „Entweder wir kriegen hier die Kurve, und zwar bald, oder wir scheitern“.

Die Reaktion auf diese Rede zeigte erneut die Spaltung der AfD. Es gab Buhrufe genauso wie stehenden Applaus. Der Versuch eines empörten Teilnehmers, eine Gegenrede zu halten, wurde von der Tagungsleitung abgebrochen; eine Debatte über das Grußwort des Vorsitzenden war an dieser Stelle nicht vorgesehen. Sie fand erst am Sonntag statt, als ein Antrag aus Freiburg auf der Tagesordnung stand, der Meuthen „spalterisches Gebaren“ vorwarf. Er war unabhängig von der aktuellen Rede eingebracht worden, offenbar als Reaktion auf den von Meuthen im Mai betriebenen Rauswurf des Parteivorstandsmitgliedes Andreas Kalbitz wegen rechtsextremer Kontakte. Über diesen Antrag gab es eine heftige, sehr emotionale und teilweise giftige Debatte. Die Delegierten teilten sich ziemlich genau zur Hälfte. Allerdings kam es am Ende nicht zu einer Abstimmung, weil eine knappe Mehrheit den Antrag von der Tagesordnung nahm.

Der Thüringer AfD-Rechtsaußen Björn Höcke schwieg. Auch die beiden Fraktionsvorsitzenden meldeten sich nicht direkt zu Wort, äußerten sich aber in Interviews. „Ich verstehe diese Kritik nicht“, sagte Fraktionschefin Alice Weidel. Und der Ehrenvorsitzende Gauland schimpfte: „Das spaltet die Partei“. Meuthen habe „viele Leute vor den Kopf gestoßen“. Gauland musste den Parteitag am Sonntag wegen Unwohlseins vorzeitig verlassen und sich in einem Krankenhaus untersuchen lassen.

Vergleichsweise harmonisch verlief die Debatte über das Sozialkonzept. 2018 waren hier Meuthen und Höcke aneinandergeraten. Meuthen wollte damals die Abkehr von der gesetzlichen Rentenversicherung und eine weitgehend private Altersvorsorge durchsetzen; Höcke im Gegensatz dazu einen Ausbau der gesetzlichen Rente inklusive eines Zuschlages nur für deutsche Rentner. Zuletzt hatte sich die Programmkommission auf einen Leitantrag verständigt, der die Extrempositionen nicht beinhaltet. Er wurde in Kalkar mit 88 Prozent beschlossen.

Kernpunkte: Die Überalterung wird als Hauptgrund für die Rentenprobleme ausgemacht, weswegen das Kinderkriegen weiter gefördert werden soll. Unter anderem sollen Eltern für jedes Kind Einzahlungen in die Rentenkasse in Höhe von 20 000 Euro erstattet bekommen. Selbstständige sollen sich gesetzlich versichern, der Beamtenstatus soll auf den engen Bereich der Sicherheitsdienste begrenzt werden, um die Beitragsbasis zu verbreitern.

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